Ob Lehrerin, Handwerker oder Angestellte im Büro: Die gesetzliche Rentenversicherung folgt einer klaren und gerechten Formel. Jedes Jahr Ihres Berufslebens zählt – aber gerade die letzten Jahre können entscheidend sein. Nicht wegen einer geheimen Sonderregelung, sondern weil sie strategisch über Abschläge, Steuerlast und Versicherungsstatus bestimmen.
Die Grundlage: Wie die Rentenformel funktioniert
Die Höhe Ihrer gesetzlichen Rente ergibt sich aus vier zentralen Faktoren. Sie bilden zusammen die sogenannte Rentenformel, die für alle Versicherten gilt.
Rente = Entgeltpunkte × Zugangsfaktor × aktueller Rentenwert × Rentenartfaktor
Diese Formel erklärt, warum jedes Jahr zählt. Es gibt keine doppelte oder „besondere Gewichtung“ für die letzten fünf Jahre – anders als viele glauben. Die Höhe der Entgeltpunkte hängt nur davon ab, wie Ihr Jahreseinkommen im Verhältnis zum bundesweiten Durchschnitt lag.
Entgeltpunkte: Jahr für Jahr ein neuer Baustein
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sammeln Entgeltpunkte, indem sie Beiträge zur Rentenversicherung zahlen. Verdient jemand genau den Durchschnitt, bekommt er einen Punkt im Jahr. Wer weniger verdient, bekommt entsprechend weniger Punkte, wer mehr verdient – bis zur Beitragsbemessungsgrenze – mehr.
Die Deutsche Rentenversicherung erklärt dazu: „Jeder Entgeltpunkt spiegelt die eigene Leistungsbiografie wider – unabhängig davon, in welchem Jahr er erworben wurde.“
Keine Sonderregel in den letzten fünf Jahren
Es hält sich hartnäckig das Gerücht, die letzten fünf Jahre vor Rentenbeginn hätten ein „besonderes Gewicht“. Faktisch stimmt das nicht. Es gibt keine Sonderverzinsung oder Aufwertung für diese Phase. Trotzdem kommt ihr enorme strategische Bedeutung zu.
Denn in dieser Phase entscheiden Sie, ob Sie vorzeitig in Rente gehen – etwa über die Altersrente für langjährig Versicherte – oder ob Sie noch einige Lücken schließen, um Abschläge zu vermeiden.
Strategische Chancen in den letzten Arbeitsjahren
Gerade in den verbleibenden Berufsjahren lässt sich die spätere Rente aktiv gestalten. Viele unterschätzen, wie stark Entscheidungen in dieser Phase wirken können:
- Abschläge ausgleichen: Wer vorzeitig geht, kann durch freiwillige Sonderzahlungen Abschläge verringern.
- Lücken schließen: Fehlzeiten wegen Arbeitslosigkeit oder Krankheit lassen sich durch freiwillige Beiträge ausgleichen.
- Versicherungsstatus prüfen: Die letzten Jahre beeinflussen, ob Sie in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) bleiben oder freiwillig versichert sind – oft ein gravierender Kostenfaktor.
- Steuern gestalten: Zusatzeinzahlungen in die gesetzliche Rente oder betriebliche Vorsorge können steuerlich absetzbar sein und langfristig Rendite sichern.
Beispielrechnung: Wie sich die Punkte summieren
Jahr | Bruttojahresverdienst (€) | Durchschnittsentgelt (€) | Entgeltpunkte |
---|---|---|---|
2015 | 38.000 | 34.999 | 1,09 |
2016 | 40.500 | 36.187 | 1,12 |
2017 | 45.000 | 37.103 | 1,21 |
2018 | 47.500 | 38.212 | 1,22 |
2019 | 49.200 | 39.301 | 1,25 |
Fünf Jahre mit soliden Einkommen ergeben hier 5,89 Entgeltpunkte. Bei einem aktuellen Rentenwert (West) von 39,32 € bedeutet das: Monatlich rund 231 € Rentenanspruch allein für diese Periode.
Zugangsfaktor: Der entscheidende Anpassungshebel
Der Zugangsfaktor bildet ab, ob jemand früher, pünktlich oder später in Rente geht.
- Bei Erreichen der Regelaltersgrenze: Faktor 1,0.
- Bei vorzeitigem Rentenbeginn: minus 0,003 pro Monat.
- Bei späterem Rentenbeginn: plus 0,005 pro Monat.
Die Deutsche Rentenversicherung erläuterte dazu im Juli 2025, dass „ein späterer Renteneintritt sich lohnen kann, wenn ausreichende Rücklagen vorhanden sind – allein durch den höheren Zugangsfaktor und zusätzliche Entgeltpunkte.“
Rentenartfaktor und aktueller Rentenwert: Zwei variable Größen
Der Rentenartfaktor hängt von der Art der Rente ab:
- Altersrente: 1,0
- Erwerbsminderungsrente: 1,0
- Witwenrente: 0,55
- Waisenrente: 0,1 bis 0,2
Der aktuelle Rentenwert spiegelt die jährliche Rentenanpassung wider. Er wird jedes Jahr an die Lohnentwicklung gekoppelt und liegt 2025 im Westen bei 39,32 € und im Osten bei 39,32 €. Damit wurde erstmals die vollständige Angleichung erreicht.
Warum die letzten Jahre trotzdem entscheidend sind
Auch ohne Sondergewicht können die letzten fünf Berufsjahre die spätere Rentenhöhe überproportional beeinflussen. Wer hier besonders gut verdient oder Beitragslücken schließt, generiert zusätzliche Punkte – und das auf Basis des jeweils aktuellen Durchschnittsentgelts, das meist höher liegt als früher.
Zugleich werden in dieser Phase oft die Weichen gestellt:
- Soll die Rente mit 63, 64 oder erst mit 67 beginnen?
- Sollen freiwillige Einzahlungen erfolgen?
- Soll eine Teilrente beantragt und parallel weitergearbeitet werden?
Diese Entscheidungen wirken direkt auf Höhe, Steuern und Sozialabgaben.
Steuerliche und soziale Weichenstellungen
Seit 2023 steigt der steuerpflichtige Anteil der Rente jährlich weiter an. Wer planen will, sollte prüfen, ob zusätzliche Einzahlungen in die Rentenkasse als Sonderausgaben (§ 10 EStG) absetzbar sind.
Zudem lohnt ein Blick auf die Krankenversicherungspflicht: Nur wer in der zweiten Hälfte des Erwerbslebens zu mindestens 90 % gesetzlich versichert war, bleibt automatisch in der günstigen KVdR.
Fachmeinung: „Es geht um kluge Planung, nicht um Glück“
Rentenexperten wie der Sozialökonom Dr. Ralf Zimmermann betonen: „Die letzten Jahre sind keine Lotterie. Sie sind die Phase, in der strategische Planung maximalen Wert schafft.“
Wer rechtzeitig beraten lasse, könne Abschläge vermeiden und gleichzeitig steuerlich profitieren.
Auch die Deutsche Rentenversicherung rät regelmäßig zu einer Rentenauskunft fünf Jahre vor Rentenbeginn.
Damit lässt sich genau prüfen, ob Wartezeiten, Versicherungsmonate und mögliche Lücken korrekt erfasst sind.
Aktuelle Reformdiskussionen
In der politischen Debatte werden derzeit Anpassungen bei Frühverrentung und Erwerbsminderungsrenten geprüft. Während manche Expertinnen eine „Pflegekomponente“ in der Rentenformel fordern, hält das Bundesarbeitsministerium (BAMS) bislang an der bisherigen Formel fest.
Das Ziel bleibe, wie Minister Hubertus Heil im Bundestag betonte, „eine transparente, nachvollziehbare und leistungsgerechte Rentenberechnung“.
Tipps zur Gestaltung der letzten Arbeitsjahre
- Nachzahlungen prüfen: Freiwillige Rentenbeiträge können Lücken schließen und Abschläge vermeiden.
- Beitragszeiten sichern: Achten Sie auf Nachweise für Minijobs, Pflegezeiten oder Arbeitslosigkeit.
- Weiterarbeiten in Teilzeit: Eine Teilrente ermöglicht es, zugleich Einkommen und Rentenanspruch zu erhöhen.
- Beratung nutzen: Kostenlos bei der Deutschen Rentenversicherung oder bei sozialen Beratungsstellen.
FAQ zur Rentenformel
Wie viele Entgeltpunkte braucht man für eine durchschnittliche Rente?
Bei 45 Versicherungsjahren mit Durchschnittsverdienst ergeben sich rund 45 Entgeltpunkte. Multipliziert mit dem Rentenwert von 39,32 € ergibt das etwa 1.769 € monatlich.
Zählen Teilzeitjahre weniger?
Ja. Wer weniger verdient, erhält entsprechend weniger Entgeltpunkte – sie spiegeln immer die relative Einkommenshöhe.
Kann ich Entgeltpunkte nachträglich aufwerten?
Nein, aber Sie können durch freiwillige Beiträge oder Nachzahlungen fehlende Punkte ausgleichen.
Was passiert bei Arbeitslosigkeit?
Bei Bezug von Arbeitslosengeld I werden Beiträge weitergezahlt, bei Arbeitslosengeld II oder Bürgergeld in der Regel nicht.
Kann ich durch Weiterbildung oder zweite Jobs Rentenlücken schließen?
Ja, sofern zusätzliche Einkünfte rentenversicherungspflichtig sind.
Fazit: Die letzten Jahre sind Ihre stärkste Stellschraube
Es gibt keine geheimnisvolle Sonderregelung für die letzten fünf Jahre – aber es gibt gestaltbare Chancen. Wer in dieser Phase plant, zahlt auf jede Weise ein: in Entgeltpunkte, in Abschlagsfreiheit und in steuerliche Effizienz.
Die gesetzliche Rentenversicherung belohnt Kontinuität, Klarheit und Strategie.
Oder wie es ein Rentenberater formulierte: „Jedes Jahr zählt – aber die letzten Jahre zählen doppelt im Kopf.“