Viele Menschen überlegen, ihren Renteneinstieg hinauszuzögern, um im Alter finanziell besser abgesichert zu sein. Doch was bringt ein Plus auf dem Rentenkonto, wenn dadurch womöglich Lebenszeit verloren geht? Eine aktuelle, internationale Studie aus Deutschland und Spanien wirft ein neues, beunruhigendes Licht auf die Debatte um das spätere Renteneintrittsalter – und zeigt: Wer länger arbeitet, könnte früher sterben.
Späterer Renteneintritt: Das Versprechen und die Realität
Von der Politik gern propagiert: Wer länger arbeitet, zahlt nicht nur länger Beiträge, sondern erhält später auch eine höhere Altersrente. In Zeiten des demografischen Wandels scheint diese Lösung unvermeidlich. Die Rentenkassen sind unter Druck, die Zahl der Rentner wächst, die Zahl der Beitragszahler stagniert.
Doch die neue Studie des EPoS Research Centers an der Universität Mannheim und der Universität Barcelona zeigt, dass dieses Modell einen hohen Preis haben kann (Originalstudie: https://www.crctr224.de/en/research-output/discussion-papers/archive/2023/DP410).
Die Studie: Daten, Methode, Ergebnisse
Das deutsch-spanische Forschungsteam analysierte Sozialversicherungsdaten nach einer Rentenreform in Spanien, bei der das Renteneintrittsalter von 60 auf 65 Jahre gestiegen ist. Wer vor dem 1. Januar 1967 in das System eingezahlt hatte, durfte mit 60 in Rente gehen, alle anderen mussten bis 65 arbeiten.
Das zentrale Ergebnis:
Bereits ein um ein Jahr verschobener Renteneintritt erhöht das Sterberisiko im Alter zwischen 60 und 69 Jahren um 4,2 Prozentpunkte. Betroffen sind vor allem Beschäftigte in Berufen mit hoher körperlicher Belastung, vielen Arbeitsunfällen (wie im Bauwesen) oder starkem psychischen und sozialen Stress. Besonders kritisch: Menschen, denen Erfolgserlebnisse und Anerkennung im Job fehlen, sind durch den späten Ruhestand stärker gefährdet.
Die Studie belegt damit empirisch, dass jeder Aufschub beim Renteneintritt die Sterberate signifikant erhöht – und das auf Datenbasis, die sich auch auf Deutschland übertragen lassen.
Gesundheitliche Folgen: Mehr als ein statistischer Effekt
Die Erkenntnisse gehen über die nackte Zahl hinaus. Die Anhebung des Renteneintrittsalters führt laut begleitender Untersuchungen auch zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustands bei den Betroffenen. Das betrifft sowohl psychische Erkrankungen wie Stimmungsstörungen als auch körperliche Leiden, beispielsweise Übergewicht, Arthrose und Rückenprobleme.
Frauen, die wegen einer Gesetzesänderung erst später in Rente gehen konnten, erlebten laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung e. V. einen deutlichen Anstieg psychisch bedingter Krankheiten und stressbedingter Beschwerden.
Wer ist besonders betroffen? Nicht alle Berufe, nicht alle Menschen
Vor allem körperlich und psychisch belastende Berufe zeigen besonders negative Effekte eines verzögerten Ruhestands. Menschen in bau- und produktionsnahen Branchen, Pflegeberufen oder im Einzelhandel, die dauerhaft mit Stress, schwerer körperlicher Arbeit oder fehlender Wertschätzung umgehen müssen, trifft eine spätere Rente besonders hart.
Anders verhält es sich bei Berufstätigen mit erfüllenden und anerkannten Tätigkeiten: Für sie konnte keine erhöhte Sterblichkeit nach späterem Ruhestand gefunden werden.
Frühverrentung: Kein Allheilmittel, aber oft gesünder
Mehrere Studien zeigen, dass ein früher Renteneintritt zu einer besseren psychischen und physischen Gesundheit führen kann. In Schweden wurde beispielsweise ein Rückgang schwerer Herzinfarkte und ein deutlicher Rückgang von Behandlungstagen im Krankenhaus bei früheren Rentengängern nachgewiesen7. Dies unterstreicht die hohe Belastung durch Arbeit im höheren Alter – insbesondere für Menschen in niedrigen sozioökonomischen Schichten.
Europäische Entwicklung: Deutschland, Spanien und der Trend zum späteren Ruhestand
In vielen Ländern Europas, darunter Deutschland und Spanien, steigt das Renteneintrittsalter schrittweise an. In Deutschland liegt es aktuell für die meisten Jahrgänge zwischen 65 und 67 Jahren, in Spanien wird bis 2030 das Rentenalter auf 67 Jahre angehoben.
Für viele Beschäftigte bedeutet das zusätzliche Arbeitsjahre – verbunden mit potenziellen gesundheitlichen Risiken, wie die neue Studie deutlich macht.
Fazit vom Verein Für soziales Leben e. V.
Die Entscheidung, länger zu arbeiten und den Renteneintritt hinauszuzögern, sollte nicht allein aus finanziellen Erwägungen getroffen werden. Die aktuellen Forschungen zeigen: Gesundheitliche Risiken steigen mit jedem zusätzlichen Jahr im Berufsleben – vor allem für Menschen in anstrengenden oder wenig anerkannten Berufen. Politik, Gesellschaft und Arbeitgeber stehen in der Verantwortung, Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine frühere und gesunde Verrentung ermöglichen – und Gesundheit im Alter sichern.