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400€ mehr EM-Rente im Monat: Anspruch auf Neuberechnung

Viele Erwerbsminderungsrentner wissen nicht, dass sie Anspruch auf eine nachträgliche Neufeststellung ihrer Rente haben können – und dadurch spürbar mehr Geld erhalten. Grundlage ist § 75 Absatz 3 SGB VI. Hier auf Bürger & Geld, dem Nachrichtenportal des Vereins Für soziales Leben e. V., erfahren Sie, wie Betroffene profitieren, welche Voraussetzungen gelten und wie sich ein Antrag lohnt.

Warum eine Neuberechnung der Erwerbsminderungsrente so wichtig ist

Für viele Menschen bedeutet die Rente wegen Erwerbsminderung das finanzielle Fundament ihres Lebens. Doch gerade bei langfristigen Fällen steckt hier oft mehr Potenzial als angenommen. Der § 75 Absatz 3 SGB VI eröffnet Erwerbsminderungsrentnern die Möglichkeit, ihre Rente neu berechnen zu lassen, wenn sie nach Eintritt der Erwerbsminderung mindestens 240 Monate (= 20 Jahre) an Beitragszeiten erworben haben. Der Hintergrund: Auch während einer Erwerbsminderung bestehen oft weitere rentenrechtliche Zeiten, die den Rentenanspruch erhöhen können.

Das bedeutet: Wer seit vielen Jahren eine volle Erwerbsminderungsrente erhält, kann unter Umständen eine deutliche Nachzahlung verlangen. Zudem profitieren Betroffene langfristig von einer höheren monatlichen Rente.

Gesetzliche Grundlage: § 75 Abs. 3 SGB VI

Der maßgebliche Paragraf lautet:

“Die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist neu festzustellen, wenn nach Eintritt der Erwerbsminderung eine Wartezeit von 240 Kalendermonaten mit Beitragszeiten erfüllt wird.”

Die Vorschrift stellt sicher, dass Versicherte, deren Versicherungsbiografie nach Eintritt der Erwerbsminderung weiter wächst – etwa durch Pflichtbeiträge aus Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen, Minijob-Beiträge oder Anrechnungszeiten – einen höheren Rentenanspruch realisieren können.

Kernaussage des Gesetzes

  • Nach 20 Jahren weiterer Beitragszeiten besteht Anspruch auf Neufeststellung.
  • Die Neuberechnung erfolgt auf Antrag oder von Amts wegen.
  • Rentenerhöhungen wirken grundsätzlich ab Beginn des Monats nach Vorliegen der Voraussetzungen. Unter bestimmten Umständen ist eine rückwirkende Anpassung möglich.

Wer profitiert besonders von der Regelung?

Die Nachberechnung betrifft insbesondere langjährig erwerbsgeminderte Rentnerinnen und Rentner. Viele von ihnen hatten zu Beginn der Erwerbsminderung einen deutlich geringeren Entgeltpunktestand als heute.

Typische Gruppen mit Anspruch

  • Menschen mit Behinderung, die in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) arbeiten und dadurch Pflichtbeiträge zahlen.
  • Teilweise Erwerbsgeminderte, die zusätzlich Teilzeit arbeiten und damit weitere Pflichtbeiträge leisten.
  • Personen mit Minijobs, die rentenversicherungspflichtig sind.
  • Langfristige Leistungsbezieher von Bürgergeld oder Arbeitslosengeld, denn auch hier können Pflichtbeiträge bzw. Anrechnungszeiten entstehen.

Praktische Auswirkungen: Mehr Rente und Nachzahlungen

Die Neuberechnung der Erwerbsminderungsrente führt häufig zu spürbaren Mehreinnahmen. Ein Beispiel verdeutlicht die Praxis:

  • Ausgangssituation: Herr M. erhielt seit 2005 eine volle Erwerbsminderungsrente, damals auf Grundlage seiner damaligen Entgeltpunkte.
  • Zwischen 2005 und 2025 arbeitete er in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Dadurch sammelte er kontinuierlich weitere Pflichtbeiträge.
  • Nach 20 Jahren war die gesetzliche Voraussetzung erfüllt: 240 neue Beitragsmonate nach Eintritt der Erwerbsminderung.
  • Ergebnis: Seine Rente wurde 2025 neu festgesetzt – mit einer Erhöhung um 180 Euro monatlich. Zudem erhielt er eine Nachzahlung für die vergangenen Monate ab Anspruchszeitpunkt.

Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, den eigenen Bescheid regelmäßig zu prüfen und aktiv eine Neuberechnung einzufordern.

Antragstellung: So gehen Betroffene vor

Die Neuberechnung erfolgt in der Regel nicht automatisch. Betroffene sollten daher selbst aktiv werden.

Schritte zur Neuberechnung

  1. Prüfen der Voraussetzungen: Liegen 240 Beitragsmonate nach Eintritt der Erwerbsminderung vor?
  2. Antrag bei der Deutschen Rentenversicherung stellen. Hierfür gibt es kein spezielles Formular – ein formloser Antrag unter Bezug auf § 75 Abs. 3 SGB VI genügt.
  3. Rentenkontoabgleich: Häufig werden durch die Antragstellung noch fehlende Zeiten im Versicherungskonto festgestellt. Diese sollten vorab im Rahmen einer Kontenklärung ergänzt werden.
  4. Bescheid abwarten und prüfen: Nach Eingang des neuen Bescheids sollte die Berechnung fachkundig kontrolliert werden, gegebenenfalls durch einen Rentenberater.

Rückwirkung und finanzielle Vorteile

Ein entscheidender Punkt ist die Frage der Rückwirkung. Grundsätzlich wirken Rentenanpassungen ab dem Monat, der auf die Erfüllung der Voraussetzungen folgt. Jedoch gibt es auch Fälle, in denen sich ein Anspruch rückwirkend geltend machen lässt.

  • Rückwirkung von bis zu einem Jahr: Wird der Antrag verspätet gestellt, kann die Neuberechnung maximal 12 Monate vor Antragstellung rückwirken (§ 44 SGB X).
  • Höhere Nachzahlungen: Je nachdem, wie lange die Anspruchsvoraussetzungen bereits erfüllt waren, kann sich die Nachzahlung auf mehrere tausend Euro summieren.

Risiken und Missverständnisse

Wichtig ist: Nicht jede Nachberechnung führt automatisch zu einer höheren Rente. Es kann Fälle geben, in denen sich durch die neuen Versicherungszeiten keine oder nur minimale Verbesserungen ergeben.

  • Bei geringen Beitragszeiten nach Eintritt der Erwerbsminderung fällt die Erhöhung oft gering aus.
  • Versicherte müssen selbst aktiv werden – eine automatische Anpassung durch die Deutsche Rentenversicherung ist selten.
  • Eine fachkundige Beratung ist dringend zu empfehlen, um unrealistische Erwartungen zu vermeiden.

Experteneinschätzung

Viele Sozialrechtler und Rentenexperten betonen, dass § 75 Abs. 3 SGB VI ein wichtiges Instrument zur Sicherstellung einer gerechten Rente ist. Denn Erwerbsminderung darf nicht dazu führen, dass spätere Versicherungszeiten unberücksichtigt bleiben.

Gerade für Menschen mit Behinderung oder langjährige Empfänger von Bürgergeld ist diese Regelung ein zentraler Baustein für eine existenzsichernde Alters- und Erwerbsminderungsrente.

FAQ zur Neuberechnung nach § 75 Abs. 3 SGB VI

Wann erfolgt die Nachberechnung automatisch?

Nur selten. Meist ist ein Antrag notwendig.

Kann die Rente auch gekürzt werden?

Nein, die Neuberechnung nach § 75 Abs. 3 SGB VI darf nicht zu einer Verschlechterung führen.

Wie lange dauert das Verfahren?

Je nach Rentenversicherungsträger mehrere Monate.

Gibt es Fristen für den Antrag?

Ja, rückwirkende Zahlungen sind in der Regel nur bis zu einem Jahr möglich. Daher sollte der Antrag möglichst sofort gestellt werden.

Wer hilft bei der Antragstellung?

Rentenberater, Sozialverbände (z. B. VdK, SoVD) oder die Auskunftsstellen der Deutschen Rentenversicherung.

Fazit

Die Nachberechnung der Erwerbsminderungsrente nach § 75 Abs. 3 SGB VI ist eine oft übersehene Möglichkeit, spürbar mehr Rente und sogar Nachzahlungen zu erhalten. Wer seit vielen Jahren eine Erwerbsminderungsrente bezieht und weiterhin Versicherungszeiten gesammelt hat, sollte dringend prüfen, ob ein Anspruch besteht. Da die Verfahren komplex sind, lohnt die Beratung durch Experten. Auf diese Weise sichern sich Betroffene nicht nur mehr Geld, sondern auch eine Stärkung ihrer sozialen Sicherheit.

Redakteure

  • Peter Kosick

    Jurist und Redakteur

    Peter Kosick hat an der Universität Münster Rechtswissenschaften studiert und beide juristische Staatsexamen in Nordrhein-Westfalen mit Erfolg abgelegt. Er arbeitet als freiberuflicher Jurist, ist Autor verschiedener Publikationen und hält Vorträge im Bereich Arbeits- und Sozialrecht. Seit mehr als 30 Jahren engagiert er sich im sozialen Bereich und ist seit der Gründung des Vereins "Für soziales Leben e.V." dort Mitglied. Peter Kosick arbeitet in der Online Redaktion des Vereins und ist der CvD. Seinen Artikeln sieht man an, dass sie sich auf ein fundiertes juristisches Fachwissen gründen. Peter hat ebenfalls ein Herz für die Natur, ist gern "draußen" und setzt sich für den Schutz der Umwelt ein. Seine Arbeit im Redaktionsteam von buerger-geld.org gibt ihm das Gefühl,  etwas Gutes für das Gemeinwohl zu tun.

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  • ik
    Experte:

    Sozialrechtsexperte und Redakteur

    Ingo Kosick ist ein renommierter Experte im Bereich des Sozialrechts in Deutschland. Er engagiert sich seit über 30 Jahren in diesem Feld und hat sich als führende Autorität etabliert. Als Vorsitzender des Vereins Für soziales Leben e.V., der 2005 in Lüdinghausen gegründet wurde, setzt er sich für die Unterstützung von Menschen ein, die von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind. Der Verein bietet über das Internet Informationen, Beratung und Unterstützung für sozial benachteiligte Menschen an. Ingo Kosick ist zudem ein zentraler Autor und Redakteur auf der Plattform buerger-geld.org, die sich auf Themen wie Bürgergeld, Sozialleistungen, Rente und Kindergrundsicherung spezialisiert hat. Seine Artikel bieten fundierte Analysen und rechtlich aufgearbeitete Informationen, die Menschen in schwierigen Lebenssituationen unterstützen sollen. Durch seine langjährige Erfahrung und sein Engagement hat Ingo Kosick maßgeblich dazu beigetragen, dass sozial benachteiligte Menschen in Deutschland besser informiert und unterstützt werden können.

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