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Bürgergeld Urteil zu Guthaben aus Betriebskostenabrechnung – überraschender Schutz für Aufstocker!

Das Sozialgericht Nürnberg hat ein Urteil zur Grundsicherung für Arbeitsuchende gefällt und dabei die Rechte von Aufstockern bei Betriebskostenguthaben gestärkt und eine richtungsweisende Korrektur der Verwaltungspraxis im SGB II-Bereich vorgenommen. Das Gericht entschied: Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung, die vollständig aus eigenen Mitteln aufgebaut wurden, dürfen bei Aufstockern nicht als Einkommen angerechnet werden, wenn diese Kosten zuvor nicht vom Jobcenter übernommen wurden. Einzelheiten zum wegweisenden Urteil auf Bürger & Geld, dem Nachrichtenmagazin des Vereins Für soziales Leben e.V.!

Hintergrund: Betriebskostenguthaben und SGB II

Grundsätzlich werden Guthaben aus Betriebs- oder Heizkostenabrechnungen im SGB II (Bürgergeld / Neue Grundsicherung für Arbeitsuchende) als Einkommen berücksichtigt und auf den Leistungsanspruch angerechnet (§ 22 Abs. 3 SGB II). Doch hierbei wird oftmals nicht differenziert, ob diese Guthaben aus Sozialleistungen oder aus Eigenmitteln entstanden sind – was insbesondere bei Aufstockern, die nur anteilig Leistungen erhalten, zu Ungerechtigkeiten führt.

Der Streitfall: Aufstocker-Mutter und Tochter wehren sich gegen Anrechnung

Im konkreten Fall erhielten Mutter und Tochter im Zeitraum November 2018 bis April 2019 aufstockendes Bürgergeld (Grundsicherung für Arbeitsuchende). Die Miete und Betriebskostenvorauszahlungen zahlten sie größtenteils selbst, weil ihr Einkommen knapp unter dem Bedarf lag. Im Dezember 2018 wurden der Mutter 292,08 Euro aus der Betriebskostenabrechnung des Vermieters gutgeschrieben – dieses Guthaben teilte sie dem Jobcenter allerdings erst Monate später ausdrücklich mit.

Das Jobcenter rechnete daraufhin das Guthaben als Einkommen auf den Regelsatz an und verlangte eine Rückzahlung der Leistungen für vier Monate. Zur Begründung hieß es, die Anrechnung sei gesetzlich vorgeschrieben, unabhängig davon, ob die Vorauszahlungen aus Eigenmitteln erfolgten.

Die Kernfragen im Urteil

Das Gericht hatte über zwei Aspekte zu entscheiden:

  1. Darf ein Betriebskostenguthaben, das nur aus Eigenmitteln (und nicht aus Sozialleistungen) entstanden ist, angerechnet werden?
  2. Ist eine Verteilung der Anrechnung auf vier Monate rechtmäßig?

Das Sozialgericht Nürnberg beantwortete beide Fragen mit Nein.

Begründung des Gerichts: Gesetzeslage und Schutz der Eigenmittel

Das Gericht argumentierte, dass § 22 Abs. 3 SGB II durch das Neunte Gesetz zur Änderung des SGB II klarstellt: Rückzahlungen und Guthaben, die sich auf nicht anerkannte Aufwendungen beziehen, dürfen nicht leistungs mindernd angerechnet werden. Es wäre unbillig, wenn zuvor voll aus dem eigenen Einkommen gezahlte Beträge später nochmals auf das Bürgergeld (Grundsicherung für Arbeitsuchende) angerechnet würden. Nur soweit das Jobcenter tatsächlich die Betriebskosten getragen hat, ist eine Anrechnung legitim.

Zur Verteilung der Anrechnung verwies das Gericht darauf, dass nach aktueller Rechtslage eine Verteilung von einmalig angerechnetem Einkommen auf sechs Monate (§ 11 Abs. 3 Satz 4 SGB II) gesetzlich vorgeschrieben ist. Die vom Jobcenter gewählte Verteilung auf vier Monate war daher fehlerhaft.

Praxistipp: Was müssen Aufstocker beachten?

  • Betriebskostenerstattungen müssen immer rechtzeitig und aktiv gemeldet werden, nicht nur per Kontoauszug.
  • Wer die volle Miete und Betriebskosten aus eigenen Mitteln bestreitet, hat ein Anrecht darauf, dass Guthaben nicht als Einkommen auf SGB II Leistungen angerechnet werden.
  • Bei Rück- oder Nachzahlungen erfolgt die Anrechnung von einmaligem Einkommen auf sechs Monate, nicht auf vier oder einen Monat.

Tabelle: aktuelles Urteil – die wichtigsten Punkte

MerkmalSG Nürnberg, Urteil S 22 AS 1385/19
Anrechnung auch bei EigenmittelnNein, wenn Aufwendungen nicht anerkannt wurden
Gesetzliche Grundlageneue Fassung nach Rechtsvereinfachungsgesetz
Verteilungszeitraum6 Monate gemäß § 11 Abs. 3 Satz 4 SGB II

Auswirkungen für die Praxis

Dieses Urteil schützt insbesondere Aufstocker, die ihre Unterkunftskosten überwiegend selbst zahlen, vor einer doppelten Schlechterstellung. Sozialbehörden sind nun verpflichtet, die Herkunft des Guthabens zu prüfen und Eigenmittel angemessen zu berücksichtigen. Die Verteilung von Einmal-Einnahmen muss nach geltender Gesetzeslage stets für sechs Monate erfolgen.

FAQ zum Urteil SG Nürnberg S 22 AS 1385/19

Muss ich als Aufstocker Betriebskostenguthaben immer melden?

Ja, für alle SGB II-Leistungsberechtigten gilt eine strenge Mitteilungspflicht.

Wann wird ein Guthaben dennoch angerechnet?

Nur, wenn zuvor das Jobcenter die Vorauszahlungen anerkannt und übernommen hat.

Wie lange wird ein Guthaben angerechnet?

Aktuell immer auf sechs Monate – eine gleichmäßige Verteilung auf vier Monate ist nicht zulässig.

Was tun, wenn das Jobcenter bei Aufstockung Guthaben trotzdem anrechnen will?

Unbedingt Widerspruch einlegen und auf das Urteil des SG Nürnberg hinweisen.

Zusammenfassung: Guthaben aus Betriebskostenabrechnung nicht auf Regelsatz anrechenbar

Das Urteil des SG Nürnberg stärkt die Rechte von Bürgergeld Aufstockern nachhaltig und sorgt für mehr Fairness bei der Berücksichtigung von Betriebskostenguthaben. Wer sein Guthaben völlig aus eigenen Mitteln erwirtschaftet hat, darf im SGB II-Bereich keine Nachteile erleiden. Jobcenter sind in diesen Fällen verpflichtet, die Guthaben nicht mit dem Regelsatz zu verrechnen.

Quelle

Sozialgericht Nürnberg Urteil Az.: S 22 AS 1385/19


Redakteure

  • Peter Kosick

    Jurist und Redakteur

    Peter Kosick hat an der Universität Münster Rechtswissenschaften studiert und beide juristische Staatsexamen in Nordrhein-Westfalen mit Erfolg abgelegt. Er arbeitet als freiberuflicher Jurist, ist Autor verschiedener Publikationen und hält Vorträge im Bereich Arbeits- und Sozialrecht. Seit mehr als 30 Jahren engagiert er sich im sozialen Bereich und ist seit der Gründung des Vereins "Für soziales Leben e.V." dort Mitglied. Peter Kosick arbeitet in der Online Redaktion des Vereins und ist der CvD. Seinen Artikeln sieht man an, dass sie sich auf ein fundiertes juristisches Fachwissen gründen. Peter hat ebenfalls ein Herz für die Natur, ist gern "draußen" und setzt sich für den Schutz der Umwelt ein. Seine Arbeit im Redaktionsteam von buerger-geld.org gibt ihm das Gefühl,  etwas Gutes für das Gemeinwohl zu tun.

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  • ik
    Experte:

    Sozialrechtsexperte und Redakteur

    Ingo Kosick ist ein renommierter Experte im Bereich des Sozialrechts in Deutschland. Er engagiert sich seit über 30 Jahren in diesem Feld und hat sich als führende Autorität etabliert. Als Vorsitzender des Vereins Für soziales Leben e.V., der 2005 in Lüdinghausen gegründet wurde, setzt er sich für die Unterstützung von Menschen ein, die von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind. Der Verein bietet über das Internet Informationen, Beratung und Unterstützung für sozial benachteiligte Menschen an. Ingo Kosick ist zudem ein zentraler Autor und Redakteur auf der Plattform buerger-geld.org, die sich auf Themen wie Bürgergeld, Sozialleistungen, Rente und Kindergrundsicherung spezialisiert hat. Seine Artikel bieten fundierte Analysen und rechtlich aufgearbeitete Informationen, die Menschen in schwierigen Lebenssituationen unterstützen sollen. Durch seine langjährige Erfahrung und sein Engagement hat Ingo Kosick maßgeblich dazu beigetragen, dass sozial benachteiligte Menschen in Deutschland besser informiert und unterstützt werden können.

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