Wer kurz vor dem Rentenbeginn steht, kennt die Situation: Die Formulare sind ausgefüllt, der Antrag ist fast fertig. Doch dann taucht eine Frage auf, die so unscheinbar wirkt, dass viele sie kaum beachten – und doch über Jahrzehnte finanzielle Auswirkungen haben kann.
Soll das Arbeitsentgelt der letzten Monate vor Rentenbeginn hochgerechnet werden – ja oder nein?
Diese Entscheidung ist alles andere als eine Formalie. Sie kann über jede zukünftige Rentenanpassung mitentscheiden.
Warum die Hochrechnung überhaupt existiert
Die Hochrechnung betrifft Beschäftigte, die ihren Rentenantrag stellen, während sie noch arbeiten.
Da die Deutsche Rentenversicherung zu diesem Zeitpunkt häufig noch keine endgültigen Entgeltdaten vom Arbeitgeber vorliegen hat, bietet das Formular an, die letzten Entgeltmonate hochzurechnen – also den Durchschnitt der letzten bekannten Monate fortzuschreiben, um eine Rentenberechnung zu ermöglichen.
Damit soll verhindert werden, dass sich die Rentenzahlung verzögert.
Doch was zunächst nach einer hilfreichen Vereinfachung klingt, kann zum Stolperstein werden.
Der Kern des Problems: Tipp, Falle oder Fehleinschätzung?
Wer das Kästchen vorschnell ankreuzt, riskiert finanzielle Einbußen.
Denn die Hochrechnung kann nur dann zutreffend sein, wenn in den letzten Monaten keine Einkommensschwankungen oder Sonderzahlungen zu erwarten sind.
Wer hingegen zum Beispiel Urlaubs- oder Weihnachtsgeld erhält, Überstunden ausbezahlt bekommt – oder wegen Krankheit weniger verdient – kann mit der Hochrechnung stark danebenliegen.
Einmal beschlossen, lässt sich die Entscheidung nur schwer korrigieren.
Die Hochrechnung beeinflusst, wie die zugrunde gelegten Entgeltpunkte berechnet werden – und damit die monatliche Rente für die gesamte Laufzeit.
Beispiel: Wenn Hochrechnen teuer wird
Ein konkretes Beispiel zeigt, wie tückisch die Sache ist.
Frau Schneider, 64, arbeitet bis Mai 2025 und beantragt ihre Altersrente ab Juni.
Die Rentenversicherung hat nur die Entgelte bis Oktober 2024.
Im Antrag stimmt sie der Hochrechnung zu, weil sie denkt, es sei schneller.
Doch im Frühjahr 2025 bekommt sie noch eine einmalige Prämie von 2.400 Euro.
Da diese Zahlung nicht berücksichtigt wird, fallen die letzten Monate im Hochrechnungszeitraum zu niedrig aus.
Ergebnis: Ihre Rente liegt dauerhaft rund 12 Euro im Monat unter dem tatsächlichen Anspruch.
Rechnet man diesen Unterschied über 20 Jahre Rentenbezug hoch, verschenkt sie über 2.800 Euro.
Wann eine Hochrechnung sinnvoll sein kann
Es gibt Fälle, in denen die Hochrechnung durchaus vorteilhaft ist.
Vor allem, wenn bis zum Rentenbeginn keine großen Schwankungen im Einkommen eintreten – etwa bei gleichbleibendem Monatsgehalt im öffentlichen Dienst oder bei langjährig festen Arbeitsverträgen.
Auch wer eine zügige Rentenzahlung braucht und eine vorläufige Berechnung bevorzugt, kann die Hochrechnung bewusst akzeptieren.
Die Rentenversicherung setzt in diesem Fall ein vorläufiges Einkommen an, das später – nach Eingang der echten Werte – korrigiert werden kann. Doch eine automatische Anpassung erfolgt meist nur auf Antrag oder bei deutlichen Abweichungen.
Warum Experten zur Vorsicht raten
Sozialrechtsexperten und Fachanwälte raten zur gründlichen Prüfung dieses Punkts.
„Viele Antragsteller unterschätzen die Bedeutung dieser Auswahl“, erklärt Sozialrechtsanwältin Dr. Lena Vogt aus Hamburg.
„Eine falsche Entscheidung kann sich über die gesamte Rentenphase hinweg summieren.“
Besonders kritisch sei die Hochrechnung bei wechselndem Einkommen, Boni, Provisionen oder krankheitsbedingten Fehlphasen.
Dann ist es oft besser, auf die Hochrechnung zu verzichten und die endgültigen Entgeltdaten nachzureichen.
Rechtliche Grundlage der Hochrechnung
Die Möglichkeit der Hochrechnung ergibt sich aus § 194 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).
Demnach dürfen Entgelte „geschätzt oder hochgerechnet“ werden, wenn noch keine vollständigen Meldungen vorliegen.
Allerdings ist die Rentenversicherung verpflichtet, diese Daten später zu berichtigen, sobald die tatsächlichen Entgelte gemeldet sind.
In der Praxis passiert das jedoch nicht automatisch oder kann lange dauern.
Deshalb sollte jeder Antragsteller prüfen, ob und wann eine Überprüfung notwendig ist.
Praktische Hinweise für Rentenantragsteller
- Prüfen Sie Ihr Bruttoentgelt der letzten zwölf Monate genau.
- Fragen Sie Ihren Arbeitgeber, welche Entgeltmeldungen bereits an die Rentenversicherung übermittelt wurden.
- Lassen Sie sich im Zweifel vom Versicherungsamt oder Fachanwalt beraten.
- Verzichten Sie auf die Hochrechnung, wenn Sonderzahlungen oder Lohnänderungen bevorstehen.
- Beantragen Sie eine nachträgliche Korrektur, wenn sich die Entgelte später deutlich unterscheiden.
Wer diese Punkte beachtet, sichert langfristig eine korrekte Rentenberechnung.
Hintergrund: Warum diese Frage so entscheidend ist
Rentenpunkte entstehen aus dem Verhältnis des eigenen Einkommens zum Durchschnitt aller Versicherten.
Schon geringe Abweichungen bei den Entgelten können sich daher jahrelang in der Höhe der Rente auswirken.
Gerade in den Monaten vor Rentenbeginn zählt jeder Punkt.
Hinzu kommt: Eine einmal bewilligte Rente wird grundsätzlich nicht vollständig neu berechnet, sondern nur angepasst, wenn nachweislich falsche Werte verwendet wurden.
Wer den Fehler erst später bemerkt, hat oft Mühe, ihn nachträglich zu korrigieren.
Stimmen aus der Praxis
Viele Rentenberater berichten von einem wiederkehrenden Muster:
Zahlreiche Antragsteller unterschreiben den Antrag, ohne die Hochrechnungsfrage überhaupt zu lesen.
Manchmal auch, weil sie denken, es gehe nur um eine interne Formalie.
„Ich habe Mandanten, die dadurch 10 bis 20 Euro pro Monat verlieren – ein Leben lang“, sagt Rentenberater Karl-Heinz Riedl aus Düsseldorf.
„Dieser Punkt gehört zu den häufigsten Fehlerquellen im gesamten Rentenverfahren.“
Politik und Rentenversicherung in der Kritik
Sozialverbände fordern seit Jahren, dass die Formulare der Rentenversicherung klarer formuliert werden müssen.
Derzeit sei die Erklärung zur Hochrechnung in Fachsprache verfasst, die Laien kaum verstehen.
Auch Verbraucherschützer plädieren für eine verbindliche automatische Korrektur, sobald die tatsächlichen Entgelte feststehen.
Bislang liegt die Verantwortung weitgehend beim Rentenempfänger selbst.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales erkennt den Änderungsbedarf – konkrete Maßnahmen stehen aber noch aus.
Alternative Vorgehensweise: Antrag mit Hinweis auf Nachmeldung
Eine pragmatische Lösung besteht darin, den Antrag ohne Hochrechnung zu stellen, aber zugleich zu vermerken, dass die letzten Entgelte nachgereicht werden.
So bleibt der Anspruch auf korrekte Berechnung gewahrt, auch wenn sich die Auszahlung etwas verzögert.
Rententräger können auf Wunsch eine vorläufige Zahlung leisten, bis die endgültigen Daten vorliegen.
Diese Option ist zwar bürokratischer, aber rechtlich sicherer.
FAQ zur Hochrechnung im Rentenantrag
Wann ist die Hochrechnung sinnvoll?
Wenn die monatlichen Löhne stabil geblieben sind und keine Sonderzahlungen erwartet werden.
Kann ich meine Entscheidung nachträglich ändern?
Nur, wenn nachgewiesen wird, dass die Berechnungsgrundlage falsch war. Eine einfache Meinungsänderung reicht nicht.
Erfolgt eine automatische Korrektur später?
Selten. In der Regel muss der Versicherte selbst tätig werden und neue Entgeltdaten einreichen.
Was passiert, wenn ich nicht hochrechne?
Die Rentenbewilligung kann sich etwas verzögern, bis alle Daten vom Arbeitgeber übermittelt sind.
Kann die Hochrechnung die Steuer beeinflussen?
Nein, sie wirkt sich nur auf die Rentenberechnung aus, nicht auf steuerliche Aspekte.
Fazit: Kleine Entscheidung, große Tragweite
Die Frage nach der Hochrechnung ist kein bloßer Formalakt, sondern eine strategische Entscheidung.
Sie bestimmt, auf welcher Basis Ihre Rente berechnet wird – und wie hoch sie über viele Jahre bleibt.
Ein Kreuz an der falschen Stelle kann dauerhaft Geld kosten.
Wer sich unsicher ist, sollte fachkundigen Rat suchen – etwa bei einem Sozialrechtsanwalt oder Rentenberater.
Gerade dort, wo persönliche Erwerbsverläufe individuell und ungleichmäßig sind, schützt eine fundierte Entscheidung vor bösen Überraschungen.
Die Hochrechnung soll helfen – darf aber nicht zur Geldfalle werden.