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Bürgergeld Mitwirkungspflicht – Das müssen Sie, das nicht! Die wichtigsten Urteile des Bundessozialgerichts

Die Mitwirkungspflicht beim Bürgergeld wirft für viele Betroffene zahlreiche Fragen auf: Was genau muss ich dem Jobcenter mitteilen, welche Unterlagen wirklich einreichen und wo liegen die Grenzen meiner Pflichten? Vor allem die sozialgerichtliche Rechtsprechung sorgt für mehr Klarheit und schützt Bürgergeld-Empfänger vor überzogenen oder unzumutbaren Forderungen. In diesem Artikel auf Bürger & Geld, dem Nachrichtenmagazin des Vereins Für soziales Leben e.V., erfahren Sie, welche Mitwirkung wirklich gefordert wird, welche Rechte Sie haben und wie Sie sich bei Problemen mit dem Jobcenter erfolgreich wehren können.

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Autor: Chef-Redakteur Experte: Chef-Redakteur

Die Mitwirkungspflicht ist ein zentrales Element beim Bezug von Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitssuchende. Jeder, der diese staatliche Leistung beansprucht, muss mit dem Jobcenter kooperieren und bestimmte Pflichten erfüllen. Aber nicht alles, was das Jobcenter verlangt, ist auch tatsächlich verpflichtend – und das Bundessozialgericht (BSG) hat mehrfach die Grenzen dieser Mitwirkungspflichten präzisiert.

Was bedeutet Mitwirkungspflicht beim Bürgergeld?

Wer Bürgergeld (zukünftig: Neue Grundsicherung) bezieht, verpflichtet sich, aktiv mitzuwirken. Das bedeutet:

  • Wahrheitspflicht: Sie müssen alle für die Leistung wichtigen Angaben richtig machen. Dazu zählen persönliche Daten, Einkommen, Vermögen oder Veränderungen der Lebenssituation.
  • Mitteilungspflicht: Änderungen, die die Höhe des Bürgergelds beeinflussen könnten, müssen sofort dem Jobcenter gemeldet werden. Kommt es hier zu Versäumnissen, können Rückforderungen oder Sanktionen folgen.
  • Kooperationspflicht: Sie müssen Termine beim Jobcenter wahrnehmen, angeforderte Unterlagen fristgerecht einreichen und an zumutbaren Eingliederungsmaßnahmen teilnehmen – einschließlich Trainings-, Qualifizierungs- oder Bewerbungsmaßnahmen.
  • Arbeitspflicht: Jede zumutbare Arbeit, die durch das Jobcenter angeboten wird, muss angenommen werden. Eigenbemühungen bei der Arbeitssuche und deren Nachweis werden ebenfalls erwartet.

Was müssen Sie NICHT tun?

Es gibt klare Grenzen bei der Mitwirkung – und genau hier setzt auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts an:

  • Unverhältnismäßige Anforderungen: Die Mitwirkung darf nie überzogen oder unzumutbar sein. Das Jobcenter kann keine Angaben verlangen, die in keinem Zusammenhang mit dem Leistungsanspruch stehen oder die Sie unmöglich beschaffen können.
  • Mitwirkung Dritter: Sie sind nur für Informationen verantwortlich, die Ihnen selbst bekannt oder zumutbar zu beschaffen sind – nicht aber für Dinge, die Dritte betreffen, z.B. getrennt lebende Ehepartner oder volljährige Kinder, über deren finanzielle Verhältnisse Sie keine Kenntnis haben.
  • Grenzen bei Sanktionen: Sanktionen müssen verhältnismäßig sein. Komplette Streichungen von Bürgergeld sind laut Bundesverfassungsgericht nur in Ausnahmefällen zulässig. Es muss stets eine Anhörung stattfinden, und das Jobcenter darf nicht einfach die gesamte Bedarfsgemeinschaft für das Verhalten eines Einzelnen bestrafen.

Beispiele aus der BSG-Rechtsprechung

  • Individualität der Pflichten: Das Bundessozialgericht stellte klar, dass Mitwirkungspflichten individuell gelten. Leistungsverweigerungen bei einem Familienmitglied führen nicht automatisch zu Sanktionen bei anderen – es sei denn, diese hätten tatsächlich die Möglichkeit zur Mitwirkung gehabt.
  • Anhörung und Härtefallprüfung: Ehefrau und Kind können nicht sanktioniert werden, wenn der Ehemann seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen ist und sie selbst keine Möglichkeit hatten, die geforderten Nachweise zu beschaffen. Das BSG legt Wert auf individuelle Prüfung und Verhältnismäßigkeit.
  • Sanktionen müssen verhältnismäßig sein: Vor Entziehung oder Kürzung des Bürgergelds muss das Jobcenter eine Anhörung anbieten und sorgfältig klären, ob ein wichtiger Grund für das Verhalten vorlag. Erst wenn sich jemand bewusst und grundlos weigert, zumutbare Arbeit anzunehmen, und andere Maßnahmen erfolglos blieben, kann das Bürgergeld temporär entzogen werden – Wohn- und Heizkosten dürfen dabei jedoch meist nicht gestrichen werden.

Individuelle Mitwirkungspflichten in der Bedarfsgemeinschaft

  • Aktenzeichen: B 7 AS 24/22 R
  • Urteil Datum: 13.12.2023
  • Kernaussage: Das BSG stellte klar, dass die Mitwirkungspflichten individuell gelten. Die Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft können nicht für die fehlende Mitwirkung eines anderen Mitglieds haftbar gemacht werden. Nur wer selbst leisten kann, muss auch mitwirken. Besonders relevant ist dies bei getrennter Haushaltsführung oder fehlender Kenntnis über die Einkommensverhältnisse eines anderen.

Komplette Versagung von Bürgergeld-Leistungen wegen fehlender Mitwirkung

  • Aktenzeichen: B 14/11b AS 59/06 R
  • Urteil Datum: 31. Oktober 2007
  • Kontext: Auch in der neueren Rechtsprechung wird auf dieses Grundsatzurteil verwiesen.
  • Kernaussage: Das Jobcenter kann Leistungen komplett versagen, wenn durch das Verhalten des Antragstellers der Sachverhalt nicht aufklärbar ist. Die Versagung kann unbegrenzt und nicht nur temporär erfolgen, bis die Mitwirkung nachgeholt wird.

Kopfteilungsprinzip und individuelle Anspruchskürzung

  • Aktenzeichen: B 14 AS 17/17 R
  • Urteil Datum: 14. Februar 2018
  • Kernaussage: Das BSG entschied, dass bei einer Vollsanktionierung eines Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft den anderen Mitgliedern nur ihr individueller Anspruch zusteht – sie profitieren nicht von einem eventuellen „freien Anteil“ des nicht mitwirkenden Mitglieds, müssen dessen Verhalten aber auch nicht ausgleichen.

Bestimmtheit der Rechtsfolgenbelehrung

  • Aktenzeichen:
  • Urteil Datum: 29. November 2022
  • Kernaussage: Die Belehrung über die Folgen fehlender Mitwirkung im Bescheid muss so eindeutig sein, dass klar wird, welche Konsequenzen drohen. Nur dann ist eine Versagung oder Minderung rechtssicher möglich.

Quellen siehe unten!

Was tun wennJobcenter Mitwirkungspflicht überspannt?

  • Lassen Sie jeden Bescheid rechtlich prüfen, wenn Ihnen eine Pflichtverletzung vorgeworfen wird.
  • Nutzen Sie Ihr Recht auf Anhörung und legen Sie wichtige Gründe für Ihr Verhalten dar.
  • Wenden Sie sich an eine Beratungsstelle oder einen Fachanwalt, wenn Sie das Gefühl haben, das Jobcenter verlangt Unzumutbares.

Zusammenfassung: Mitwirkungspflichten beim Bürgergeld

Die Mitwirkungspflicht beim Bürgergeld ist wichtig und keine Kleinigkeit: Wer nicht mitwirkt, riskiert Sanktionen bis zur Leistungsentziehung. Doch diese Pflichten haben klare Grenzen. Sie müssen nur das tun, was für Sie zumutbar ist und wozu Sie tatsächlich in der Lage sind. Wer zu Unrecht sanktioniert wird, kann sich mit Verweis auf die aktuelle BSG-Rechtsprechung erfolgreich wehren. Individualität, Verhältnismäßigkeit und der Schutz des Existenzminimums stehen im Mittelpunkt – nicht blinder Gehorsam gegenüber jedem Jobcenter-Verlangen!

Quellen

Bundessozialgericht:

https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2023/2023_12_13_B_07_AS_24_22_R.html

https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/index.php/legacy/75606

https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2022/2022_11_29_B_04_AS_64_21_R.html

https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2018/2018_02_14_B_14_AS_17_17_R.html

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