Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine im Februar 2022 haben Millionen Menschen in Europa Zuflucht gesucht – darunter über eine Million in Deutschland. Viele von ihnen erhielten bisher Bürgergeld, also die Grundsicherung für Arbeitssuchende. Doch nun plant die Bundesregierung eine weitreichende Änderung: Ukrainische Flüchtlinge, die nach dem 1. April 2025 nach Deutschland kommen, sollen künftig nur noch Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten – und nicht mehr das deutlich höhere Bürgergeld. Besonders umstritten ist dabei der geplante rückwirkende Stichtag, der Tausende Geflüchtete betreffen könnte. Nachfolgender Artikel auf Bürger & Geld, dem Nachrichtenmagazin des Vereins Für soziales Leben e. V., erklärt die Hintergründe und rechtlichen Fragen.
Die wichtigsten Fakten zur geplanten Änderung
- Stichtag 1. April 2025: Wer als Flüchtling aus der Ukraine nach diesem Datum nach Deutschland kommt, soll künftig Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, nicht mehr Bürgergeld.
- Rückwirkung: Ursprünglich war angedacht, die Änderung rückwirkend zum Stichtag zu vollziehen, was jedoch rechtlich und praktisch umstritten ist.
- Bestandsschutz: Für alle, die bereits vor dem 1. April 2025 in Deutschland waren, bleibt der Bürgergeld-Anspruch vorerst bestehen.
- Finanzielle Unterschiede: Bürgergeld liegt für Alleinstehende bei 563 Euro pro Monat, Asylbewerberleistungen bei 441 Euro – ein Unterschied von 122 Euro monatlich.
- Ziel der Maßnahme: Die Bundesregierung will Anreize zur Arbeitsaufnahme erhöhen und die Kosten für den Sozialstaat senken.
Warum ändert sich die Unterstützung für ukrainische Flüchtlinge?
Die ursprüngliche Entscheidung, ukrainischen Flüchtlingen direkt nach der Einreise Bürgergeld zu gewähren, war politisch motiviert und wurde mit der sogenannten EU-Massenzustromrichtlinie begründet. Diese erlaubte es Ukrainern, ohne Asylverfahren einen Aufenthaltsstatus zu erhalten und direkt am Arbeitsmarkt teilzunehmen. Doch die Integration in den Arbeitsmarkt verlief schleppender als erhofft. Kritiker bemängeln, dass das Bürgergeld zu wenig Anreize zur Arbeitsaufnahme biete und eine „Zweiklassengesellschaft“ zwischen ukrainischen und anderen Geflüchteten schaffe.
Was bedeutet die Änderung für die Betroffenen?
Für neu ankommende ukrainische Flüchtlinge bedeutet die Umstellung auf das Asylbewerberleistungsgesetz eine deutliche Verschlechterung ihrer finanziellen Situation. Sie erhalten weniger Geld, müssen sich strengeren Vermögensprüfungen unterziehen und haben eingeschränkte Möglichkeiten zur Arbeitsmarktintegration, da die Leistungen nicht wie beim Bürgergeld mit gezielten Maßnahmen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt verknüpft sind.
Auch die Rückwirkung auf den Stichtag 1. April 2025 ist problematisch: Kommunen und Länder kritisieren, dass ein rückwirkender Rechtskreiswechsel gegen den Vertrauensschutz verstoßen könnte. Viele Geflüchtete hätten sich auf die bestehende Rechtslage verlassen und müssten nun mit einer nachträglichen Kürzung ihrer Leistungen leben.
Wie ist der Stand des Gesetzesvorhabens?
Aktuell befindet sich das Gesetzgebungsverfahren noch im Gange. Es gibt bislang keinen konkreten Zeitplan und keinen finalen Gesetzesentwurf. Auch die Abstimmung mit Ländern und Kommunen steht noch aus. Diese sind besonders betroffen, da sie die Kosten für die Asylbewerberleistungen tragen müssen, während das Bürgergeld aus Bundesmitteln finanziert wird.
Warum ist die Rückwirkung rechtlich umstritten?
Vertrauensschutz und Rechtssicherheit: Ukrainische Flüchtlinge, die nach dem 1. April 2025 nach Deutschland gekommen sind, haben sich auf die bestehende Rechtslage verlassen und aktuell weiterhin Anspruch auf Bürgergeld. Sie planen ihr Leben und ihre Ausgaben auf Basis dieser Leistungen. Eine rückwirkende Änderung würde ihr Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat untergraben, da sie plötzlich mit nachteiligen Regelungen konfrontiert würden, obwohl sie nach geltendem Recht gehandelt haben.
Praxis und Verwaltung: Bis zur endgültigen Gesetzesänderung erhalten ukrainische Geflüchtete weiterhin Bürgergeld. Wird das Gesetz rückwirkend zum 1. April 2025 in Kraft gesetzt, könnte das bedeuten, dass bereits gezahlte Leistungen zurückgefordert werden oder Ansprüche nachträglich entfallen. Das Sozialministerium Sachsen-Anhalt hält dies für äußerst kritisch, weil ein Vertrauensschutz von sechs bis zwölf Monaten für Leistungsbezieher bestehen sollte. Eine rückwirkende Kürzung widerspricht diesem Prinzip und erschwert die Planungssicherheit für Betroffene.
Gleichbehandlung und Integration: Die ursprüngliche Sonderregelung, ukrainischen Geflüchteten Bürgergeld zu gewähren, wurde unter anderem mit der EU-Massenzustromrichtlinie begründet und sollte die Integration in den Arbeitsmarkt erleichtern. Eine rückwirkende Änderung würde nicht nur die finanzielle Situation verschlechtern, sondern auch die Arbeitsmarktintegration erschweren, da die mit dem Bürgergeld verbundenen Integrationsmaßnahmen wegfallen.
Wogegen könnte die Rückwirkung verstoßen?
Rückwirkungsverbot: Nach deutschem Verfassungsrecht sind rückwirkende Gesetze grundsätzlich unzulässig, wenn sie schutzwürdiges Vertrauen enttäuschen. Gerade bei Sozialleistungen, auf die sich Betroffene verlassen, ist das Vertrauen besonders hoch. Eine rückwirkende Änderung könnte daher gegen das Rechtsstaatsprinzip und das Rückwirkungsverbot verstoßen.
Grundrechte: Die rückwirkende Kürzung könnten die Eigentumsgarantie und das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum berühren, wenn bereits erworbene Rechtspositionen nachträglich entwertet werden.
Verwaltungsrechtliche Probleme: Die Rückwirkung führt zu erheblichem administrativem Aufwand und Rechtsunsicherheit, da Behörden rückwirkend prüfen und gegebenenfalls bereits gezahlte Leistungen zurückfordern müssten
Zusammenfassung: Bürgergeld für Ukrainier rückwirkend streichen – erlaubt?
Die geplante Änderung ist ein massiver Einschnitt für ukrainische Flüchtlinge, die nach dem 1. April 2025 nach Deutschland kommen. Sie müssen mit deutlich geringeren Leistungen auskommen und verlieren wichtige Anlaufstellen zur Arbeitsmarktintegration. Die Rückwirkung auf den Stichtag ist rechtlich umstritten und könnte zu weiteren Problemen führen. Für die bereits vor dem 1. April 2025 in Deutschland lebenden Ukrainer bleibt der Bürgergeld-Anspruch unverändert bestehen.