Stille im Briefkasten – bis plötzlich der Bescheid vom Finanzamt kommt. Viele Eltern, Kranke oder Arbeitslose verstehen nicht, warum sie auf einmal hunderte oder sogar tausende Euro nachzahlen sollen, obwohl Elterngeld, Krankengeld oder Arbeitslosengeld I doch offiziell „steuerfrei“ sind. Der Grund steckt in einem unscheinbaren Paragrafen des Einkommensteuergesetzes – und trifft jedes Jahr Millionen Menschen in Deutschland. Alle wichtigen Informationen, Hintergründe und Praxistipps finden sich hier auf „Bürger & Geld“, dem Nachrichtenmagazin des Vereins Für soziales Leben e. V.
Was Lohnersatzleistungen eigentlich sind
Lohnersatzleistungen sind Zahlungen, die den wegfallenden Arbeitslohn in besonderen Lebenslagen ersetzen – etwa bei Arbeitslosigkeit, Krankheit oder in der Elternzeit.
Dazu zählen insbesondere Arbeitslosengeld I, Elterngeld, Krankengeld, Kurzarbeitergeld, Mutterschaftsgeld, Verletztengeld, Insolvenzgeld, Übergangsgeld und vergleichbare Leistungen.
Die Rechtsgrundlage für die steuerliche Behandlung findet sich im Einkommensteuergesetz, vor allem in § 32b EStG, der den sogenannten Progressionsvorbehalt regelt.
Steuerfrei – aber trotzdem steuerrelevant
Nach § 3 EStG sind viele Lohnersatzleistungen ausdrücklich steuerfrei, sie tauchen im Steuerbescheid nicht als zu versteuerndes Einkommen auf.
Gleichzeitig schreibt § 32b EStG vor, dass genau diese steuerfreien Leistungen bei der Berechnung des Steuersatzes mitberücksichtigt werden – das ist der Kern des Progressionsvorbehalts.
Finanzportale wie Finanztip warnen seit Jahren, dass Kurzarbeitergeld, Elterngeld und ähnliche Leistungen zwar „steuerfrei“, aber keineswegs „steuerunschädlich“ sind.
Diese Leistungen unterliegen dem Progressionsvorbehalt
Nach Angaben von Steuerportalen und Banken unterliegen unter anderem folgende Leistungen dem Progressionsvorbehalt: Elterngeld, Arbeitslosengeld I, Krankengeld, Kurzarbeitergeld, Mutterschaftsgeld, Verletztengeld, Insolvenzgeld und bestimmte Auslandseinkünfte.
Die Vereinigte Lohnsteuerhilfe listet zusätzlich Übergangsgeld, Winterausfallgeld und Aufstockungsbeiträge bei Altersteilzeit als betroffene Leistungen.
Der Progressionsvorbehalt greift regelmäßig auch bei Entschädigungen nach dem Infektionsschutzgesetz, wenn sie Verdienstausfall ersetzen.
Wie der Progressionsvorbehalt technisch funktioniert
Beim Progressionsvorbehalt wird zunächst das zu versteuernde Einkommen ohne Lohnersatzleistungen berechnet, zum Beispiel der Jahresarbeitslohn.
Dann werden die steuerfreien Lohnersatzleistungen fiktiv hinzugerechnet, um den Steuersatz für dieses höhere Gesamteinkommen zu bestimmen.
Dieser höhere Durchschnittssteuersatz wird anschließend nur auf das eigentlich steuerpflichtige Einkommen ohne Elterngeld oder Krankengeld angewendet – so steigt die Steuerlast indirekt.
Konkretes Beispiel: Elterngeld erhöht den Steuersatz
Steuerexperten von Steuertipps schildern etwa folgenden Fall: 36.000 Euro zu versteuerndes Einkommen führen zunächst zu 6.232 Euro Einkommensteuer.
Kommen 5.000 Euro Elterngeld hinzu, liegt das fiktive Jahreseinkommen bei 41.000 Euro und der zugehörige Steuersatz bei 19,07 Prozent.
Dieser Satz wird dann auf die 36.000 Euro steuerpflichtiges Einkommen angewandt – die Steuer steigt damit auf 6.866 Euro, also um 634 Euro allein wegen der „steuerfreien“ Leistung.
Elterngeld und Steuererklärungspflicht
Informationsportale zum Elterngeld betonen, dass ab rund 410 Euro Elterngeld im Kalenderjahr grundsätzlich eine Pflicht zur Abgabe der Einkommensteuererklärung entsteht.
Das Elterngeld selbst bleibt zwar steuerfrei, doch durch den Progressionsvorbehalt erhöht es den Steuersatz für den verbleibenden Arbeitslohn und andere Einkünfte.
Die Finanzverwaltung Nordrhein-Westfalen weist ausdrücklich darauf hin, dass Elterngeld als solches nicht versteuert, aber voll bei der Steuersatzberechnung berücksichtigt wird.
Krankengeld aus der gesetzlichen Krankenversicherung
Krankengeld der gesetzlichen Krankenkassen ist nach § 3 Nr. 1a EStG steuerfrei, unterliegt aber vollständig dem Progressionsvorbehalt.
Die Einkommensteuerrichtlinien stellen klar, dass gesetzliches Krankengeld als Entgeltersatzleistung immer in die Steuersatzberechnung einzubeziehen ist.
Nach einem vielzitierten Urteil des Bundesfinanzhofs vom 13. November 2014 (III R 36/13) ist es verfassungsrechtlich zulässig, Krankengeld gesetzlicher Kassen in den Progressionsvorbehalt einzubeziehen.
Unterschied: Gesetzliches Krankengeld vs. privates Krankentagegeld
Der Bundesfinanzhof stellte in diesem Urteil zugleich fest, dass Krankentagegeld aus einer privaten Krankenversicherung nicht dem Progressionsvorbehalt unterliegt.
Lohnsteuer-Kompakt kommentierte, die Ungleichbehandlung zwischen gesetzlichem Krankengeld und privatem Krankentagegeld verstoße nach Ansicht des Gerichts nicht gegen das Grundgesetz.
Für gesetzlich Versicherte bedeutet dies: Sie müssen ihr Krankengeld immer in der Steuererklärung angeben, während privat Versicherte insoweit steuerlich privilegiert bleiben.
Arbeitslosengeld I und Kurzarbeitergeld
Arbeitslosengeld I zählt zu den bekanntesten Entgeltersatzleistungen und ist für viele Betroffene der Einstieg in den Progressionsvorbehalt.
Die Vereinigte Lohnsteuerhilfe warnt ausdrücklich, dass sowohl ALG I als auch Kurzarbeitergeld in der Steuererklärung angegeben werden müssen, obwohl sie steuerfrei sind.
Finanztip berichtet, dass insbesondere Kurzarbeitergeld in Krisenjahren zu erheblichen Steuernachzahlungen führen kann, wenn Betroffene ihre Vorausplanung vernachlässigen.
Wann eine Steuererklärung verpflichtend ist
Wer im Kalenderjahr Lohnersatzleistungen über 410 Euro bezieht, löst nach gängiger Verwaltungsauffassung eine Pflicht zur Abgabe der Einkommensteuererklärung aus.
Steuerportale betonen, dass das Finanzamt bei entsprechenden Meldungen der Leistungsträger regelmäßig eine sogenannte „Aufforderung zur Abgabe“ versendet.
Auch ohne schriftliche Aufforderung besteht die Pflicht, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind – eine unterlassene Erklärung kann später teuer werden.
Wo Lohnersatzleistungen in der Steuererklärung eingetragen werden
Lohnersatzleistungen werden im Mantelbogen der Einkommensteuererklärung beziehungsweise in der elektronischen Anlage „Weitere Angaben“ erfasst.
Viele Steuersoftware-Anbieter führen ein eigenes Feld „Lohnersatzleistungen / Progressionsvorbehalt“, in dem Gesamtbeträge aus Elterngeld-, ALG- oder Krankengeldbescheiden eingetragen werden.
Die Zahlbeträge meldet der jeweilige Träger – etwa Krankenkasse, Arbeitsagentur oder Elterngeldstelle – zusätzlich automatisch an das Finanzamt, was spätere Abweichungen schnell auffallen lässt.
Warum es oft zur Steuernachzahlung kommt
Während des Jahres werden Lohnsteuer und Vorauszahlungen ohne Kenntnis der späteren Lohnersatzleistungen berechnet.
Erst im Rahmen der Steuerveranlagung erkennt das Finanzamt die zusätzlichen „steuerfreien“ Beträge und erhöht rückwirkend den Steuersatz für das gesamte Jahreseinkommen.
Steuerportale wie Buhl führen aus, dass sich deshalb gerade bei mittleren und höheren Einkommen häufig empfindliche Nachzahlungen ergeben, wenn keine Rücklagen gebildet wurden.
Wer besonders gefährdet ist
Besonders betroffen sind Familien, die Elterngeld und parallel noch Teile eines Gehalts beziehen – hier wirkt der Progressionsvorbehalt besonders stark.
Ebenfalls gefährdet sind Versicherte mit längeren Krankheitszeiten, die mehrere Monate Krankengeld oder Übergangsgeld erhalten.
Auch Arbeitnehmer mit hohen Bruttolöhnen und anschließendem Arbeitslosengeld I oder Kurzarbeitergeld spüren den Steuereffekt überdurchschnittlich deutlich.
Progressionsvorbehalt und Verfassungsrecht
Der Bundesfinanzhof hat in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass der Progressionsvorbehalt grundsätzlich verfassungsgemäß ist.
Im Urteil vom 25. September 2014 (III R 61/12) erläuterte der BFH detailliert, dass Elterngeld zwar steuerfrei bleibt, aber für das zu versteuernde Einkommen ein besonderer Steuersatz zu berechnen ist.
Lohnsteuer-Kompakt fasste zusammen, der BFH sehe in der Einbeziehung des Krankengeldes in den Progressionsvorbehalt keinen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, obwohl private Krankentagegeldtarife anders behandelt werden.
Wie sich Nachzahlungen abmildern lassen
Steuerexperten empfehlen, ab Beginn des Bezugs von Elterngeld, Krankengeld oder Arbeitslosengeld I monatlich Rücklagen für eine mögliche Steuernachzahlung zu bilden.
Online-Rechner von Landesfinanzverwaltungen oder Steuerportalen ermöglichen eine grobe Schätzung der späteren Steuerbelastung durch den Progressionsvorbehalt.
Wer absehen kann, dass die Steuerlast stark steigt, kann auf Antrag freiwillig Vorauszahlungen leisten oder die Steuerklassenwahl in Partnerschaften strategisch anpassen.
Bedeutung für das Nachrichtenportal „Bürger & Geld“
Gerade Menschen in prekären Situationen – junge Familien, Langzeiterkrankte, Arbeitslose – sind auf verlässliche Informationen zu Lohnersatzleistungen angewiesen.
Das Nachrichtenmagazin „Bürger & Geld“ des Vereins Für soziales Leben e. V. positioniert sich hier bewusst als unabhängige, gemeinnützige Informationsquelle für sozialrechtliche und steuerliche Fragen.
Durch die Aufbereitung komplexer Steuermechanismen wie dem Progressionsvorbehalt in verständlicher Sprache wird Betroffenen ermöglicht, frühzeitig vorzusorgen und Rechte gegenüber dem Finanzamt besser durchzusetzen.
Fazit: Steuerfalle kennen – finanzielle Schocks vermeiden
Lohnersatzleistungen wie Elterngeld, Krankengeld oder Arbeitslosengeld I sind ein wichtiger Schutzschirm in Krisenzeiten, aber steuerlich alles andere als harmlos.
Der Progressionsvorbehalt sorgt dafür, dass „steuerfrei“ nicht „steuerneutral“ bedeutet und kann ohne Planung zu spürbaren Nachzahlungen führen.
Wer Bescheide sorgfältig aufbewahrt, die Erklärungspflicht ernst nimmt, Online-Rechner nutzt und rechtzeitig Rücklagen bildet, verwandelt die versteckte Steuerfalle in eine kalkulierbare Größe – mit Hilfe seriöser Informationen etwa von Bürger & Geld.

