Wer gehofft hatte, nach einer gekürzten Erwerbsminderungsrente endlich eine volle Regelaltersrente zu bekommen, erlebt eine bittere Enttäuschung. Das Bundessozialgericht (BSG) hat entschieden: Die Kürzungen bleiben – für immer. Das betrifft Zehntausende Versicherte und sorgt bundesweit für Diskussion.
Ein Urteil mit Tragweite: Der Fall vor dem BSG
Am 19. Dezember 2024 fällte der 5. Senat des Bundessozialgerichts in Kassel ein Urteil, das die Rechtsprechung verändert.
Unter dem Aktenzeichen B 5 R 9/23 R wies das Gericht die Klage eines Rentners ab, der seine gekürzte Erwerbsminderungsrente in eine abschlagsfreie Regelaltersrente umwandeln wollte.
Zuvor hatte er aus gesundheitlichen Gründen eine Erwerbsminderungsrente (EM-Rente) mit Abschlägen bezogen. Als er das gesetzliche Rentenalter erreichte, beantragte er eine volle Altersrente – ohne Minderung. Doch die Rentenversicherung lehnte ab.
Das BSG bestätigte diese Entscheidung. Die gezahlten Abschläge bleiben auch in der Regelaltersrente bestehen, sofern keine vollständige Rückzahlung („Rentenregress“) der bezogenen EM-Rente erfolgt.
Wie das Gericht betonte, sei die bisherige Regelung klar: Wer vorzeitig Rente bezieht, akzeptiert dauerhaft Abschläge, auch wenn später die Altersrente folgt.
Abkehr von früherer Rechtsprechung
Noch im Jahr 2017 hatte das BSG (Urteil vom 13. Dezember 2017, Az. B 13 R 3/15 R) anders entschieden.
Damals galt: Nach dem Erreichen der Regelaltersgrenze konnte eine volle, abschlagsfreie Rente möglich sein, sofern die frühere EM-Rente endete.
Das neue Urteil stellt diese Linie auf den Kopf. Wie juristische Fachportale berichteten, begründet der 5. Senat dies mit dem Prinzip der „Versicherungsgerechtigkeit“. Wer früher Leistungen in Anspruch nimmt, müsse dies lebenslang tragen – so oder ähnlich laut die Argumentation.
Damit folgt das Gericht einer strengeren Auslegung des Rentenrechts. Die Deutsche Rentenversicherung hatte diese Sichtweise bereits vertreten und begrüßte das Urteil als „Klarstellung und Stärkung des Systems“.
Bedeutung für zehntausende Rentnerinnen und Rentner
In Deutschland beziehen rund 1,8 Millionen Menschen eine Erwerbsminderungsrente. Viele von ihnen erreichen in den kommenden Jahren das reguläre Rentenalter.
Für sie ist dieses Urteil ein Wendepunkt.
Denn die Hoffnung vieler, später doch noch eine „vollwertige“ Rente zu bekommen, hat sich endgültig zerschlagen. Die Abschläge – oft bis zu 10,8 Prozent – bleiben bestehen, selbst wenn der gesundheitliche Grund für die EM-Rente längst vorbei ist.
Besonders betroffen sind Menschen, die aus psychischen oder körperlichen Gründen frühzeitig aus dem Berufsleben ausscheiden mussten und ohnehin mit geringeren Rentenansprüchen leben.
Beispielrechnung: So wirken die Abschläge
Die folgende Tabelle zeigt, wie sich die Kürzungen auf die spätere Regelaltersrente auswirken können:
Jahr des Rentenbeginns | Monatlicher Rentenanspruch ohne Abschlag | Abschlag (10,8 %) | Endgültige Rente nach BSG-Urteil |
---|---|---|---|
2024 (mit EM-Rente) | 1.400 € | −151 € | 1.249 € |
Regelaltersrente 2029 | 1.400 € | −151 € (bleibt bestehen) | 1.249 € |
Reaktionen aus Politik und Sozialverbänden
Das Echo auf das Urteil fällt heftig aus. Sozialverbände wie der VdK und SoVD äußerten scharfe Kritik.
„Viele unserer Mitglieder fühlen sich doppelt bestraft“, erklärte der VdK gegenüber Bürger & Geld. Man habe gehofft, die Rentenkürzungen würden mit Eintritt ins reguläre Rentenalter enden.
Auch innerhalb der Politik regt sich Unmut. Einige Sozialpolitiker sprechen von einem „katastrophalen Signal“ für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen. Andere loben das Urteil für seine Konsequenz.
Die Bundesregierung prüft Berichten zufolge, ob eine gesetzliche Klarstellung nötig wird, um soziale Härten abzufedern. Bislang bleibt es aber bei der gerichtlichen Linie.
Juristische Einordnung des Urteils
Rechtsexperten betonen, dass das Urteil die Bedeutung des sogenannten „Zugangsfaktors“ im Rentenrecht unterstreicht. Dieser Faktor wird bei vorzeitigem Rentenbezug dauerhaft gemindert – unabhängig davon, welche Rentenart später folgt.
Das Bundessozialgericht legt in seiner Begründung dar, dass eine spätere abschlagsfreie Altersrente nur durch kompletten Regress der früheren EM-Rente möglich wäre. Mit anderen Worten: Nur wer die Summe aller bisherigen Leistungen vollständig zurückzahlt, könnte theoretisch eine neue, ungekürzte Rente erhalten – ein praktisch unrealistisches Szenario.
Wie ein Sprecher des Gerichts erklärte, schütze diese Regelung den Gleichheitsgrundsatz unter den Versicherten.
Stimmen aus der Praxis
Rentenberater warnen davor, auf Rechtsmittel zu bauen.
„Das Urteil schafft Tatsachen“. „Eine Rückzahlung der EM-Rente kann sich niemand leisten. Deshalb wird die Altersrente faktisch immer mit Abschlägen fortgeführt.“
Viele Betroffene berichten, sie hätten auf ein anderes Ende gehofft. Besonders ältere Erwerbsgeminderte mit langen Versicherungszeiten fühlen sich enttäuscht.
Ein Betroffener sagte gegenüber Bürger & Geld, er habe 38 Jahre gearbeitet, bevor eine Krebserkrankung ihn zwang, früh in Rente zu gehen. Nun müsse er lebenslang mit 200 Euro weniger leben.
Was Betroffene jetzt tun können
Nach Auffassung der Experten sollten Betroffene folgende Schritte prüfen:
- Frühzeitig Rentenauskünfte anfordern und die persönlichen Abschläge berechnen lassen.
- Prüfen, ob ein Übergang von EM-Rente in Altersrente sinnvoll ist oder Nachteile bringt.
- Beratungsangebote der Deutschen Rentenversicherung und von Sozialverbänden nutzen.
- Eventuelle private oder betriebliche Zusatzrenten prüfen, um Versorgungslücken zu schließen.
Viele Fachleute empfehlen zudem, sich rechtzeitig um Erwerbsminderungsrentenberatung zu kümmern – spätestens fünf Jahre vor dem regulären Rentenalter.
FAQ zum BSG-Urteil (Az. B 5 R 9/23 R)
Was hat das BSG genau entschieden?
Wer zuvor eine Erwerbsminderungsrente mit Abschlägen bezogen hat, erhält auch bei Eintritt in die Regelaltersrente keine abschlagsfreie Zahlung. Die Kürzungen bleiben unverändert bestehen.
Gilt das für alle Rentnerinnen und Rentner?
Ja, sofern sie eine EM-Rente vor dem Erreichen der Regelaltersgrenze bezogen haben. Nur ein kompletter Regress der vorherigen Rentenleistung würde eine Ausnahme ermöglichen.
Wie hoch ist der maximale Abschlag?
Bis zu 10,8 Prozent des Rentenanspruchs, abhängig vom Zeitpunkt des Rentenbeginns.
Kann man sich gegen das Urteil wehren?
Nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts besteht keine weitere Rechtsmittelmöglichkeit. Nur der Gesetzgeber könnte eine Änderung schaffen.
Wird über eine neue Regelung diskutiert?
Sozialverbände fordern bereits eine gesetzliche Neuregelung, um Härtefälle zu vermeiden. Eine konkrete Initiative ist derzeit jedoch nicht in Sicht.
Fazit: Ein Urteil mit Signalwirkung
Das BSG-Urteil vom 19. Dezember 2024 verändert die soziale Realität tausender Menschen.
Es schafft Klarheit – aber auf Kosten vieler, die sich durch langjährige Arbeit eine faire Altersrente erhofft hatten.
Bürger & Geld sieht darin einen Wendepunkt in der Rentenpolitik.
Das Urteil mahnt: Wer früher aussteigt, trägt die finanziellen Folgen lebenslang.
Für Betroffene bleibt nur eines – sich frühzeitig beraten lassen und private Vorsorge prüfen.