Das Problem Wohnkostenlücke wird immer akuter
Die Wohnkostenlücke ist eines der drängendsten Probleme im deutschen Sozialleistungs- und Bürgergeld-System. Sie entsteht, wenn die von Jobcentern als „angemessen“ anerkannten Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) nicht mit den tatsächlichen Miet- und Heizkosten übereinstimmen. Der aktuelle Bericht der Bundesregierung (BT-Drucksache 21/1005, Juli 2025) liefert detaillierte Zahlen und Erläuterungen zur Lage im Jahr 2024 – und deckt zahlreiche Schwachstellen und Ungerechtigkeiten auf
Was ist die Wohnkostenlücke?
Die Wohnkostenlücke bezeichnet die Differenz zwischen dem Betrag, den das Jobcenter für die tatsächlichen Wohnkosten anerkennt und übernimmt, und dem real gezahlten Miet- und Heizkostenbetrag der Bedürftigen. Laut dem SGB II ( Gesetz zur Grundsicherung für Arbeitsuchende, Bürgergeld) werden Wohnkosten nur in „angemessener“ Höhe bezahlt – das Problem: Die lokalen Richtwerte sind oft zu niedrig, der Wohnungsmarkt aber angespannt und günstiger Wohnraum kaum verfügbar.
Betroffene müssen die Differenz aus dem Regelsatz oder aus Ersparnissen bezahlen. Das führt zu einer Unterschreitung des Existenzminimums: Geld fehlt für Nahrung, Bildung, Teilhabe und andere Grundbedarfe.
Wichtige Zahlen zur Wohnkostenlücke 2024: bundesweite Differenz
- Insgesamt wurden 494 Mio. Euro an Kosten für Unterkunft und Heizung im Jahr 2024 nicht vollständig übernommen.
- 334.000 Bedarfsgemeinschaften waren davon betroffen – das sind 12,6 Prozent aller Haushalte im Bürgergeld-Bezug.
- Die monatliche Durchschnittsdifferenz betrug 15 Euro über alle Haushalte; für von der Wohnkostenlücke Betroffene lag sie sogar bei 116 Euro pro Monat.
- Der Anteil der Wohnkostenlücke an den tatsächlichen Unterkunftskosten liegt im Durchschnitt aller Haushalte bei 2,4%, bei Betroffenen sogar bei 16, 8%.
Einzelhaushalte und Familien
- Ein-Personen-Haushalte: Durchschnittlich 12 Euro Lücke, bei Betroffenen 97 Euro/Monat.
- Familien mit Kindern: 216 Mio. Euro Gesamt-Lücke, durchschnittlich 18 Euro je Bedarfsgemeinschaft, bei direkt Betroffenen sogar 142 Euro.
- Haushalte mit kleinen Kindern (<6 Jahre): 99 Mio. Euro Gesamt-Lücke, 18 Euro je Bedarfsgemeinschaft, 146 Euro je betroffene Familie.
- Alleinerziehende: 115 Mio. Euro Lücke, durchschnittlich 18 Euro/Monat, bei Betroffenen 131 Euro monatlich.
- Partner-Bedarfsgemeinschaften mit zwei Kindern: 17,1 % leben auf unter 60 m² Wohnfläche – weit unter förderfähigen Richtwerten.
Regionale Unterschiede und rechtliche Probleme
Die Differenz zwischen anerkannten und tatsächlichen Mietkosten variiert stark regional. Sozialgerichte haben vielfach (z.B. 24 Fälle allein 2020) kommunale Richtwerte als rechtswidrig bemängelt – oft waren sie zu niedrig angesetzt. Zehntausende Betroffene waren hierdurch unmittelbar unterfinanziert.
Im Wohnungsmarkt vieler Städte und Kreise ist faktisch kein Wohnraum zum „angemessenen“ Preis verfügbar. Folge: Zwang zu viel zu kleinen Wohnungen, Unterschreitung des sozialen Existenzminimums und massive Einschränkung sozialer Teilhabe.
Hier eine tabellarische Übersicht der wichtigsten Kennzahlen zur Wohnkostenlücke laut Drucksache 21/1005 für das Jahr 2024:
Wert/Beschreibung | Jahr 2024 | |
---|---|---|
Gesamte Wohnkostenlücke (KdU) | nicht übernommene Kosten | 494 Mio. Euro |
Betroffene Bedarfsgemeinschaften | absolute Zahl | 334.000 |
Anteil an allen Bedarfsgemeinschaften | Prozent | 12,6 % |
Durchschnittliche Monatsdifferenz (alle) | tatsächliche – anerkannte KdU je Bedarfsgemeinschaft | 15 Euro |
Durchschnittliche Monatsdifferenz (Betroffene) | bei unmittelbarer Lücke | 116 Euro |
Anteil der Differenz an tatsächlichen KdU (alle) | Prozent | 2,4 % |
Anteil der Differenz an tatsächlichen KdU (Betroffene) | Prozent | 16,8 % |
Ein-Personen-Haushalt: Monatslücke (alle) | 12 Euro | |
Ein-Personen-Haushalt: Monatslücke (Betroffene) | 97 Euro | |
Familien mit Kindern: Monatslücke (alle) | 18 Euro | |
Familien mit Kindern: Monatslücke (Betroffene) | 142 Euro | |
Gesamtbetrag der Lücke in Haushalten mit Kindern | 216 Mio. Euro | |
Haushalte mit min. 1 Kind < 6 Jahre: Monatsdifferenz (alle) | 18 Euro | |
Haushalte mit min. 1 Kind < 6 Jahre: Monatsdifferenz (Betroffene) | 146 Euro | |
Alleinerziehende: Monatsdifferenz (alle) | 18 Euro | |
Alleinerziehende: Monatsdifferenz (Betroffene) | 131 Euro | |
Gesamtbetrag der Lücke bei Alleinerziehenden | 115 Mio. Euro | |
Anteil Partner-BG mit zwei Kindern unter 60m² Wohnfläche | Prozentsatz | 17,1 % |
*KdU = Kosten der Unterkunft und Heizung
Die Werte stammen aus den offiziellen Antworten der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage und geben die Dimension der Wohnkostenlücke im Bürgergeldsystem für das Jahr 2024 wieder. Sie belegen eine massive Unterfinanzierung vieler Haushalte und verdeutlichen den Bedarf für Reformen beim Bürgergeld und der Festlegung angemessener Wohnkosten.
Effekt der Bürgergeld-Reform: Karenzzeit
Die Bürgergeld-Reform brachte für Neubeziehende eine „Karenzzeit“: Im ersten Jahr werden die tatsächlichen Mietkosten in voller Höhe übernommen – unabhängig von der Angemessenheit. Dies hilft, die Wohnkostenlücke zeitweise zu verringern und soziale Härten (z.B. drohender Wohnungsverlust) zu vermeiden. Aber:
- Die Karenzzeit gilt nur für neue Fälle, nicht für langjährige Leistungsbeziehende.
- Heizkosten sind davon ausgeschlossen.
- Die Regelung ist nicht dauerhaft und endet nach 12 Monaten.
Laut Koalitionsvertrag 2025 sollen „unverhältnismäßig hohe Kosten“ bald von der Karenzzeit ausgenommen werden. Was aber „unverhältnismäßig“ konkret bedeutet, ist noch nicht festgelegt und birgt Unsicherheit für die Praxis.
Heizkosten: Ein oft vergessener Faktor
Auch bei Heizkosten entstehen Lücken:
- Monatliche Durchschnittsdifferenz: 1,60 Euro je Bedarfsgemeinschaft.
- Bei Betroffenen mit Wohnkostenlücke: 58 Euro Differenz (das sind 35% der tatsächlichen Heizkosten).
Mit steigenden Energiepreisen kann diese Lücke weiter anwachsen, denn Angemessenheitsgrenzen werden selten entsprechend angepasst.
Auswirkungen und Schicksale
Die Wohnkostenlücke hat soziale Folgen:
- Viele Bürgergeld-Beziehende leben auf kleinster Fläche weit unter Sozialwohnungsnormen.
- Bei Familien oder Alleinerziehenden sind die Lücken besonders gravierend (bis zu 146 Euro monatlich im Extremfall).
- Langfristige Folgen wie Überschuldung oder Wohnungsverlust sind zu erwarten, konkrete Daten dazu liegen laut Bundesregierung aber nicht vor.
Politische und verwaltungstechnische Positionen
Die Bundesregierung betont, dass die Berechnung und Festlegung der „Angemessenheit“ kommunal geregelt wird. Der Bund will Rahmenbedingungen schaffen, aber die Verantwortung bleibt vor Ort. Anträge auf Anpassung und mehr Transparenz bei Richtwerten stoßen auf Widerstände bei Ländern und Kommunen.
- Eine bundeseinheitliche Regelung zur Angemessenheit existiert nicht.
- Dynamisierungen, z.B. wegen steigender Energiepreise, werden nur begrenzt und regional berücksichtigt.
- Die Karenzzeit soll in Zukunft eingeschränkt und nur bei „nicht unverhältnismäßig hohen Kosten“ gewährt werden.
Forderungen und offene Fragen
Sozialverbände und Experten fordern:
- Höhere und realistische Angemessenheitsgrenzen, angepasst an die tatsächlichen Mietmärkte.
- Mehr Schutz vor existenzbedrohenden Lücken gerade für Langzeitbeziehende, Kinderhaushalte und Alleinerziehende.
- Einheitliche Standards und transparentere Verfahren zur Festlegung der Richtwerte.
- Rasche politische Antworten auf steigende Mieten und Energiekosten.
Fazit: Wohnkostenlücke großes Problem bei der Grundsicherung
Die Wohnkostenlücke bleibt ein strukturelles Problem der sozialen Mindestsicherung. Zehntausende Haushalte sind finanziell akut betroffen, viele geraten an die Grenze des Existenzminimums. Die Karenzzeit ist nur ein Etappensieg: Dauerhaft ist eine grundlegende Reform der Richtwertmethodik und eine sozial gerechte Anpassung der Bürgergeldleistung dringend nötig.
Stellungnahme des Vereins Für soziales Leben e.V. zur aktuellen Wohnkostenlücke und den Sparplänen des Bundeskanzlers
Die Auswertung der Regierungsantwort auf die Kleine Anfrage zur Wohnkostenlücke verdeutlicht erneut: Das Problem ist gravierend und nimmt weiter zu! Im Jahr 2024 mussten 334.000 Bürgergeld-Haushalte jeden Monat durchschnittlich 116 Euro aus ihrem Existenzminimum für „nicht anerkannte“ Wohnkosten aufbringen. Insgesamt summiert sich die Lücke bundesweit auf rund 494 Millionen Euro pro Jahr. Diese Zahlen sind alarmierend und zeigen, dass die angestrebte Absicherung durch das Bürgergeld in der Realität für sehr viele Menschen nicht greift.
Vor diesem Hintergrund kritisiert der Verein Für soziales Leben e.V. entschieden die Pläne von Bundeskanzler Friedrich Merz, bei den Wohnkosten weiter sparen zu wollen:
1. Sozialpolitisch vollkommen verfehlt:
Statt einer Verbesserung für die betroffenen Haushalte ist eine weitere Kürzung nicht hinnehmbar. Viele Sozialgerichte bestätigen regelmäßig, dass die von Jobcentern festgelegten Miet-Richtwerte zu niedrig sind und dass zu den aktuellen Preisen oft keine Wohnungen vorhanden sind. Wer jetzt noch weiter kürzt oder pauschaliert, nimmt bewusst in Kauf, das Existenzminimum für Bürgergeldempfänger zu unterschreiten und die Betroffenen sozial auszugrenzen.
2. Praktische Folgen: Mehr Armut, Wohnungslosigkeit und soziale Spaltung
Schon jetzt sind zehntausende Familien gezwungen, mit Kindern auf viel zu kleiner Fläche zu leben – bis zu 146 Euro Lücke monatlich in betroffenen Haushalten mit kleinen Kindern! Die geplanten Einsparungen verschärfen diesen Missstand und werden zwangsläufig zu mehr Überschuldung, Verlust von Wohnraum und steigender Wohnungslosigkeit führen. Die betroffenen Menschen stehen vor der unmenschlichen Wahl, entweder zu hungern oder zu frieren – ein Zustand, den eine solidarische Gesellschaft keinesfalls akzeptieren darf.
3. Falsche Anreize und Zynismus
Die Behauptung, dass Bürgergeldempfänger angeblich „Luxuswohnungen“ mit zu hohen Mietzuschüssen bewohnen, entspricht nicht der Lebensrealität. Tatsächlich fehlt in vielen Regionen bezahlbarer Wohnraum und die Richtwerte der Jobcenter sind nicht an den echten Mietmärkten ausgerichtet. Wer bei den Wohnkosten weiter kürzt, ignoriert die strukturellen Defizite des sozialen Wohnungsbaus und verlagert die Krise auf die Schwächsten.
4. Unsere Forderung:
- Die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung müssen endlich realistisch abgebildet und im Bürgergeld voll übernommen werden!
- Die Bundesregierung und Kommunen müssen die Richtwerte regelmäßig kontrollieren und an die Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt sowie gestiegene Energiepreise anpassen.
- Anstatt bei den Ärmsten zu sparen, brauchen wir eine bundesweite Offensive für bezahlbaren Wohnraum: Mehr Sozialwohnungen, gemeinwohlorientierte Wohnungspolitik und strenge Begrenzungen bei Mietsteigerungen.
- Die Karenzzeitregel muss für alle Bürgergeldbeziehenden gelten – unabhängig von Dauer oder persönlicher Situation.
Unser Fazit
Der Verein Für soziales Leben e.V. lehnt die Kürzungspläne bei den Wohnkosten kategorisch ab und fordert stattdessen einen sozialpolitischen Kurswechsel. Grundsicherung muss das Existenzminimum absichern und darf nicht weiter nach unten gedrückt werden! Die Wohnkostenlücke ist ein Symptom der sozialpolitischen Vernachlässigung, das umgehend beseitigt werden muss. Für eine gerechte Gesellschaft ist bezahlbares Wohnen Grundrecht – und kein Posten für weitere Einsparungen!
Quelle
https://dserver.bundestag.de/btd/21/010/2101005.pdf