Die deutsche Rentenpolitik steht erneut im Zentrum einer hitzigen Debatte. Nach jahrzehntelanger schrittweiser Erhöhung des Renteneintrittsalters legt Wirtschaftsweiser Martin Werding eine neue Reformagenda vor. Seine Forderung: Die Altersgrenze soll bis zum Jahr 2070 auf 69 steigen, die Witwenrente – eine zentrale soziale Leistung – könnte komplett abgeschafft werden. Doch welche Argumente stehen hinter diesen radikalen Ansätzen, und wie realistisch sind sie?
Wirtschaftsweiser Werding: Rente mit 69 als Zukunftsmodell?
Martin Werding, Professor für Sozialpolitik und Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, bekräftigt gegenüber der Rheinischen Post: „Auch wenn es unpopulär ist – wir müssen länger arbeiten.“ In den 1960er-Jahren bezogen die Menschen im Schnitt zehn Jahre Rente, heute sind es rund 20 Jahre. Die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer gehen nun in den Ruhestand, ihre Nachkommenzahl ist gering – das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentnern verschlechtert sich.
Um die Finanzierung der Rentenkasse langfristig zu sichern, schlägt Werding einen Automatismus vor: Die Regelaltersgrenze für die gesetzliche Rente soll ab 2031 – nach Erreichen der 67 Jahre – alle zehn Jahre um sechs Monate steigen. Im Ergebnis wäre ab 2050 das Renteneintrittsalter bei 68 Jahren, ab 2070 bei 69 Jahren. Nach Werdings Berechnung würde der Ruhestand künftig nur noch ein Drittel der zusätzlichen Lebenszeit abdecken; die restlichen zwei Drittel müssten erwerbstätig gelebt werden.
Der gesamte Artikel kann unter folgendem Link aufgerufen werden:
https://rp-online.de/politik/deutschland/wirtschaftsweiser-werding-waere-gut-wenn-witwenrente-wegfaellt-v2_aid-132058245Die wichtigsten Aussagen des Rheinische-Post-Artikels:
- Martin Werding fordert eine langfristige Anhebung des Renteneintrittsalters auf 69 Jahre.
- Frauen seien heute in der Lage, für sich selbst zu sorgen, daher könne die Witwenrente wegfallen.
- Eine solche Reform sollte mit genügend Vorlauf erfolgen.
Witwenrente unter Reformdruck: Was steckt dahinter?
Besonders umstritten ist Werdings Vorschlag, die Witwenrente komplett abzuschaffen. Seine Begründung: „Unter Anreizaspekten wäre es gut, wenn die Witwenrente wegfällt. Frauen können heute für sich selbst sorgen“. Werding verweist auf Schweden, wo die Hinterbliebenenversorgung bereits 1990 abgeschafft wurde. In Deutschland jedoch sind die wirtschaftlichen Realitäten viele Frauen anders: Erwerbsbiografien werden oft durch Kindererziehung oder Pflege von Angehörigen unterbrochen, was zu geringeren eigenen Rentenansprüchen führt. Die Witwenrente schützt Hunderttausende Frauen vor Altersarmut.
Aktuell beträgt die große Witwenrente rund 55% der Rente des verstorbenen Partners, die kleine Witwenrente nur 25% und wird maximal zwei Jahre gezahlt. Ohne diese Leistung könnten viele Hinterbliebene massive finanzielle Einbußen erfahren. Sozial- und Frauenverbände kritisieren Werdings Forderung deutlich und warnen vor negativen Folgen für das soziale Gefüge und die Altersarmut in Deutschland.
Gesellschaftliche und politische Reaktionen
Die Diskussion um Werdings Reformvorschläge bleibt kontrovers: Während einzelne Wirtschaftsvertreter eine Anhebung des Rentenalters und die Abschaffung der Witwenrente als unvermeidlich sehen, widersprechen Sozialverbände und Teile der Politik deutlich. Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas etwa bezeichnet die Forderungen als „Scheindebatte“ und stellt fest, dass viele Beschäftigte bereits das aktuelle Rentenalter gesundheitlich kaum erreichen.
Beobachter betonen zudem, dass Reformen wie die Abschaffung der Witwenrente viele Jahre Vorlauf bräuchten, damit sich Betroffene anpassen können. Eine umfassende Modernisierung der Altersvorsorge sollte am gesellschaftlichen Konsens und den Lebensrealitäten orientiert sein.
Fazit
Martin Werdings Forderungen für eine langfristige Rente mit 69 und die Abschaffung der Witwenrente markieren einen radikalen Paradigmenwechsel in der deutschen Sozialpolitik. Sie basieren auf finanzmathematischen Überlegungen, ignorieren aber vielfach die sozialen Realitäten von Frauen und langjährigen Arbeitnehmern. Während eine nachhaltige Finanzierung des Rentensystems unumgänglich ist, brauchen Reformen gesellschaftliche Akzeptanz und Berücksichtigung individueller Lebensumstände. Die Zukunft der Altersvorsorge bleibt eine zentrale soziale Herausforderung.