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Bezahlkarte für Bürgergeld und Sozialhilfe: Innovation oder neue Hürde?

Hamburgs Plan, künftig alle Leistungen nach SGB II (Bürgergeld) und SGB XII (Sozialhilfe) über eine Bezahlkarte auszuzahlen, sorgt für Debatten. Was als Modernisierung verkauft wird, könnte zehntausende Menschen massiv einschränken. Kritiker warnen vor Schikane und technischer Überwachung. Dieser Artikel von Bürger & Geld, dem Nachrichtenmagazin des Vereins Für soziales Leben e. V., beleuchtet Chancen und Risiken der Bezahlkarte in Hamburg.

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Autor: Chef-Redakteur Experte: Chef-Redakteur

Hamburg will als erstes Bundesland die Auszahlung sämtlicher SGB II- und SGB XII-Leistungen radikal verändern: Statt Bargeld auf das Konto soll es bald nur noch eine sogenannte Bezahlkarte geben. Das klingt zunächst nach digitalem Fortschritt – doch hinter den technischen Veränderungen verbirgt sich eine weitreichende gesellschaftliche Debatte über Teilhabe, Kontrolle und Grundrechte.

Einführung: Was plant Hamburg?

Die rot-grüne Koalition der Hansestadt bereitet ein Projekt vor, das die Auszahlung von Bürgergeld und Sozialhilfe grundlegend umstellt. Nach verschiedenen Informationen aus Senat und Medienrecherchen plant Hamburg, die bereits für Asylbewerber eingeführte Bezahlkarte nun auch für Empfänger von Sozialhilfe und Bürgergeld einzuführen. Zunächst soll sie Barauszahlungen im Amt ersetzen, später könnten auch alle regulären Überweisungen durch das Kartensystem abgelöst werden.

Die Bezahlkarte soll wie eine guthabenbasierte Debitkarte funktionieren und wäre im stationären Handel einsetzbar – nicht jedoch im Online-Handel, für Geldtransfers, Glücksspiele oder im Ausland. Bargeldabhebungen werden gedeckelt sein; aktuell ist im Modell für Geflüchtete monatlich nur ein geringes Bargeld-Limit möglich (meist 50 Euro).

Begründungen der Politik: Verwaltung modernisieren und Teilhabe verbessern

Der Senat argumentiert, man wolle die Verwaltungsabläufe vereinfachen, Kosten durch teure Scheckauszahlungen einsparen und vor allem Menschen ohne reguläres Bankkonto eine Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr ermöglichen. Finanzsenator Dressel verweist auf den Effizienzgewinn und betont, dass mithilfe der Karte auch verschuldete Menschen oder solche mit gesperrtem Konto einfacher an ihre Leistungen gelangen könnten.

Die offizielle Lesart: Die Bezahlkarte bringe Chancen und stelle eine moderne, faire Lösung dar – so etwa auch die Sozialbehörde: „Es geht nicht um Beschränkungen, sondern um ein Mehr an Ermöglichung“.

Kritik: Technische Neuerung als tiefgreifender Einschnitt ins Leben

Für zehntausende Hamburger Empfängerinnen und Empfänger sozialer Leistungen wird diese technische Umstellung deutlich mehr zur gesellschaftlichen Frage:

  • Einschränkung der Selbstbestimmung: Die Bezahlkarte kann für bestimmte Waren (z. B. Alkohol, Zigaretten, Glücksspiel) gesperrt werden – die Behörden erhalten die technische Möglichkeit, das Konsumverhalten zu kontrollieren und zu überwachen. Kritiker wie die Linke sprechen von einem Kontrollinstrument, das alltägliche Freiheit beschneidet (siehe auch NDR-Bericht über die Kritik und geplanten Ausweitung der Bezahlkarte).
  • Technische und praktische Hürden: Die Erfahrung aus der bisherigen Nutzung bei Geflüchteten zeigt, dass Karten nicht überall akzeptiert werden und Online-Käufe ausgeschlossen sind. Damit entsteht, so die Rückmeldungen aus Praxis und Beratungsstellen, in vielen Alltagssituationen eine größere Unsicherheit und Einschränkung.
  • Bürokratisches Monster statt echte Vereinfachung: Anwälte, Sozialverbände und Politiker bemängeln, dass die Karte durch ihre Sperrmöglichkeiten und die notwendige Einzelfallprüfung im Zweifel mehr Verwaltungsaufwand schafft, statt Prozesse zu vereinfachen. Selbst fünf Monate nach Bundesstart konnten viele Karten nicht für den Onlinehandel freigeschaltet werden.
  • Datenschutz und Stigmatisierung: Offen bleibt, wie mit den Nutzungsdaten umgegangen wird – die Angst vor zu weitreichender Kontrolle ist verbreitet. Zudem befürchten Sozialverbände, dass die Bezahlkarte Empfänger nachhaltiger stigmatisiert als das bisherige Bankkonto-Modell.

Wer profitiert – und wer verliert?

Die Befürchtung vieler Kritiker: Was als Test für kleine Gruppen wie Geflüchtete begann, betrifft nun zehntausende Hamburgerinnen und Hamburger. Viele empfinden diese Ausweitung als politische Schikane und als einen klaren Trend zu restriktiver Verwaltung auch für finanziell Schwächere der Gesellschaft.

Auf der anderen Seite sieht die Politik diejenigen im Vorteil, die etwa kein Bankkonto eröffnen dürfen oder könnten, etwa wegen Pfändung oder negativer Bonität. Doch spätestens ab Januar 2026 gilt: Wer Bürgergeld erhalten will, braucht ohnehin ein Konto, denn Scheckzahlungen werden bundesweit abgeschafft. Basiskonten stehen als Lösung bereit – sie sind praktisch für jeden Bürger zu eröffnen, auch bei schlechter SCHUFA oder ohne festen Wohnsitz.

Fazit des Vereins Für soziales Leben e. V.

Die geplante Bezahlkarte in Hamburg markiert einen Paradigmenwechsel im Umgang mit Bürgergeld- und Sozialhilfebeziehern. Was technisch nach Modernisierung klingt, bedeutet für viele Betroffene eine massive Einschränkung im Alltag, Kontrolle über Konsum und potenzielle Stigmatisierung. Während Verwaltungskosten und mögliche Vorteile für besonders benachteiligte Gruppen als Fortschritt präsentiert werden, überwiegt bei Betroffenen und Sozialverbänden die Sorge, dass mit der Bezahlkarte der erste Schritt zu rigiderer, weniger würdevoller Sozialpolitik getan wird.
Der Verein Für soziales Leben e. V. fordert eine breite gesellschaftliche Debatte über die tatsächlichen Folgen solcher Maßnahmen. Teilhabe darf nicht zu Kontrolle, Digitalisierung nicht zu Überwachung führen. Moderne Sozialpolitik braucht Lösungen, die alle Lebensrealitäten gerecht einbeziehen – nicht nur Effizienz, sondern auch Menschlichkeit.

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